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ein verrirrter Prolog, mit Aussicht auf mehr.

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Donnerstag, 27. März 2025

Die Zauberin; Das Glückskind: Gentilis; Kapitel 14


Zauberei


Einen Tag nach dem Treffen der Herrscher, waren die Armeen, die jetzt aus knapp eintausend Mann bestandenen, aufgebrochen. Eola hatte versucht, so viel zu lesen, wie sie konnte, aber die Schriften, die Bajka ihr gegeben hatte, waren trocken. Sie war mittlerweile bei einem Buch über die Theorie der Elemente angelangt. Entgegen Eolas eigenem Wissen gab es wohl mehr als zwanzig davon und sie verstand beim besten Willen nicht, warum sich nur Holz bereits aus fünf davon zusammensetzte und vor allem nicht, was das alles mit Magie zu tun hatte. Also fragte sie Bajka, als die Zauberin hinter ihrem Wagen herritt und Eola dabei zusah, wie sie über die Lektüre gebeugt die Stirn in Falten zog.

“Die Elemente liegen nur sehr selten in reiner Form vor. Jedes Material setzt sich aus mehreren Elementen zusammen. Die Art der Verbindung gibt Auskunft darüber, wie viel Energie in einem Stoff gebunden ist”, erklärter Bajka. "Energie, die wir nutzen können, um Zauber zu wirken.”

Noch mehr Falten bildeten sich auf Eolas Stirn. Bajka lächelte.

“Jede Verbindung ist anders. Holz ist weicher als Stein, richtig?”

Eola nickte.

"Und Wasser wiederum ist nicht fest, sondern flüssig. Die Art der Verbindung legt also zum Beispiel fest, wie hart oder weich ein Stoff ist, ob er fließt oder fest an einem Ort verharrt. Die Art der Verbindung bestimmt außerdem, wie viel Kraft es braucht, um einen Stoff zu spalten."

“Es ist also einfacher einen Stock zu zerbrechen als einen Stein, aber das weiß ich auch so.”

Bajka schnaubte, nickte jedoch.

“Und woran meinst du, liegt das?”

“Ähm…”, Eola überlegte kurz und versuchte sich zu erinnern, ob sie darüber bereits etwas gelesen hatte.

“Weil manche Verbindungen instabiler sind als andere.”

“Richtig. In was steckt also mehr Energie? In Holz oder Stein?”

Wieder überlegt Eola.

“Im Stein? Weil die Verbindung stabiler ist?”

“Theoretisch ja. Aber die Energie im Stein ist sehr viel schwieriger nutzbar zu machen.”

“Hä?”

Bajka musste erneut lächeln und Eola klappte das Buch zu.

“Hast du schon einmal versucht, einen Stein zum Brennen zu bekommen?”

“Natürlich nicht. Steine brennen nicht.”

“Genau. Holz lässt sich verbrennen und spalten, wenn es nass geworden ist, kann man es sogar zerbröckeln. Ein Stein hingegen brennt nicht, und ob er nun nass ist oder trocken, er bleibt immer gleich hart. Es gibt weniger Möglichkeiten, die Verbindung aufzuspalten.”

“Also ist im Stein mehr Energie, aber ich kann sie auf weniger Arten nutzbar machen.”

Richtig, außerdem muss ich mehr Energie hinzufügen, als er am Ende abgibt. Ein Zauberer weiß ganz genau, wie sich ein Stoff zusammensetzt und kann so abwägen, ob es sich lohnt, die Verbindung zu manipulieren oder nicht.”

“Nagut. Aber reicht es nicht zu wissen, dass Holz halt brennt und Stein nicht?”

Bajka seuftzte.

“Wenn es lediglich darum geht, Feuer zu erschaffen, ja Aber die magische Theorie verrät uns, ebenfalls wie wir selbst Stein zum Zerbröckeln bringen können. Wie Erde in Stahl verwandeln und Waffen so verhärten können, dass sie selbst die härteste Rüstung durchdringen, ohne stumpf zu werden. Es ist nicht so spektakulär wie Feuer zu erschaffen, aber nicht weniger praktisch.”

“Nagut.” Eola schlug das Buch wieder auf und Bajka ließ sich etwas zurückfallen.

“Morgen fangen wir mit der Praxis an. Dann verstehst du vielleicht besser, wie wichtig es ist, die Verbindungen der Elemente zu kennen.”


“Und was ist mit der Semantik? Warum ist sie für die Zauberei so wichtig?”, fragte Eola, als sie sich am Abend in das Zelt zurückgezogen hatten, in dem sie zusammen mit der Zauberin und schlief. Bajka warf einige Kräuter in die Flammen der Kerze, die auf einer Holzscheibe stand, die der Zauberin als Nachttisch diente. Sie hatte Eole erklärt, dass die Mischung ihr beim Schlafen half. Trotzdem hatte Eola mitbekommen das Bajkas Schlaf nur sehr leicht war. Die Zauberin stand ab und an des Nachts auf und Eola war ihr das erste Mal noch gefolgt, nur um von ihr erwischt und zurück ins Bett geschickt zu werden.

“Die einfache Art der Magie wird mit Hilfe von Runen gewirkt. Sie geben Auskunft darüber, welche Art der Energie genutzt werden soll und was damit bewirkt wird. Die Semantik lehrt uns die Bedeutung von Schrift und Zeichen. Eine Rune kann mehrere Bedeutungen haben, je nachdem, wie sie gezeichnet wird und worauf ich sie zeichne.”

“Das klingt kompliziert.”

Bajka nickte.

“Eine Rune kann zudem unterschiedlich interpretiert werden. Die Gesetze der Semantik geben ihr erst ihre Definition. Ohne diese Definition wäre sie völlig unbrauchbar.”

“Also bekommt eine Rune ihr Macht erst dadurch, dass wir ihr eine Bedeutung geben?”

Bajka lächelte.

“Du hast ja doch etwas gelernt.”

Eola nickte stolz und kuschelte sich in ihre Decke. Sie war so aufgeregt, dass sie mit Sicherheit kein Auge zutun würde. Morgen würde sie schließlich endlich das Zaubern lernen. Nicht das langweilige Zeug aus Bajkas Büchern, sondern echte, lebendige Magie, wie Eola sie aus den Geschichten kannte.

“Wo habt ihr gelernt zu zaubern? Ihr seid schließlich keine Akademie-Magierin."

Bajka zog sich bis auf ihr Unterkleid aus und wieder blitzten Eola Runen entgegen, die überall auf ihre Haut gemalt waren. Nicht nur auf den Unterarmen, wie sie zuerst gedacht hatte. Sie bedeckten auch Bajkas Brust, ihre Oberschenkel, die Schultern und krochen sogar ihren Hals hinauf.

“Die Schamanen der Berge sind ebenfalls Magier. Aber das meiste habe ich mir selbst beigebracht. Veysgrad war früher eine der stolzen Festungen des Südens. Die Bibliothek des Fürsten war eine wahre Fundgrube für magisches Wissen. Bis der Kaiser die Bücher verbrennen ließ, die ebenfalls viele Geheimnisse der Hexenmeister enthielten.”

“Dann habt ihr schon gelebt, bevor die Hexenmeister vernichtet wurden?”

Bajka lächelte traurig.

“Ich bin sehr viel älter als ich aussehe, Kind.”

“Werden alle Magier so alt?”

Bajka schüttelte den Kopf und machte es sich auf ihrem Lager bequem. Dann löschte sie die Kerze.

“Nein, aber älter als die meisten Menschen. Und jetzt schlafen endlich. Du brauchst deine Kraft für Morgen.”

“Aber die Hexenmeister sind vor über hundert Jahren gefallen …”

“Bitte Eola. Ich werde dir alles über Magie beibringen, was ich weiß. Aber gewisse Dinge gehen dich nichts an, verstanden?”

Eola nickte und streichelte Krümel gedankenverloren hinter den Ohren. Er schnurrte und rollte sich auf ihrem Kissen zusammen. War die Zauberin so alt wie Oine? Eola hatte zwar von Veysgrad gehört, aber es galt als verschollen. Eine Festung in den Bergen, die im Krieg mehrmals niedergebrannt wurde. Nach einer Stunde, die für Eolas lediglich daraus bestand, sich unruhig von einer Seite auf die andere zu wälzen, hörte sie plötzlich ein Geräusch außerhalb des Zeltes. Jemand schlich dort herum und plötzlich war sie wieder hellwach. Bajkas regelmäßige Atemzüge verrieten ihr, dass die Zauberin schlief und nichts bemerkt hatte. Sie wusste, dass die Bajka Schutzzauber um das Zelt errichtet hatte, hatte sie dabei beobachtet, wie sie die Schlafstätte umrundet hatte, mit fließenden Bewegungen ein durchsichtiges Pulver ausgestreut hatte und dabei leise Zauberformeln gemurmelt hatte. Wer auch immer dort draußen ums Zelt schlich, hielt sich also mit Absicht fern. Trotzdem wollte Eola sicher gehen. Sie suchte nach den Zündhölzern auf Bajkas Nachttisch und ertastete die hölzerne Schachtel neben der Schale mit Schlafkreutern. Krümel sah ihr mit im Dunkeln blitzende Augen dabei zu, wie sie in ihre Hose und ein leichtes Hemd schlüpfte und dann zum Eingang des Zeltes kroch. Eola spähte zwischen den Bahnen hindurch, konnte jedoch niemanden entdecken. Sie schlüpfte leise in die Nacht hinaus. Sie sah sich erneut um und entdeckte schließlich einen Schatten, der ums Zelt gelaufen kam. Der Mond hing zwischen zwei Ästen über dem nicht weit entfernten Wäldchen. Er gab genug Licht ab und Eola stutzte. Sie kannte diese Gestalt.

“Sellen, was machst du denn hier?”

Sellen räusperte sich und sah zu Boden. Eola rollte mit den Augen, trat auf Sellen zu und schob ihn einige Meter weit, bis er von selbst lief und blieb dann stehen, als sie weit genug vom Zelt entfernt waren. Sellen lief noch einige Meter, bevor ihm auffiel, dass sie nicht mehr folgte, dann blieb er stehen, drehte sich um und kam zu ihr zurück.

“Also Sellen, warum schleichst du mitten in der Nacht um das Zelt zweier Damen, hm? Hat man dir nicht beigebracht, dass man sowas nicht macht?”

Sellen lief rot an und fingerte am Saum seiner Tunika. Er war besser gekleidet als sonst zu einer Gelegenheit, bei der Eola ihn gesehen hatte. Sie musste zugeben, dass er im richtigen Licht gar nicht so schlecht aussah. Moment, was dachte sie denn da? Er war mindestens zehn Jahre älter als sie. Aber das hatte andere Lords auch nicht gestört, sich eine junge Braut zu suchen.

“Ich … Mein Vater … Ich wollte schon früher zu euch kommen, aber …”

“Hör auf so herum zu stammeln und bitte hör mit der unnötigen Höflichkeit auf, wir sind Freunde, Sellen, nicht wahr?”

Er nickte, wurde jedoch noch röter.

“Natürlich Eola. Es tut mir leid. Du hast Recht, wir sind Freunde.”

Dabei lächelte er und sie verdrehte erneut die Augen.

“Bilde dir bloß nichts drauf ein.”

“Würde ich doch nie.”

“Also?”

“Ich wollte mich verabschieden. Die Truppen meines Vaters rücken Morgen in Richtung Ayskamm aus.”

Sie nickte.

“Davon habe ich gehört. Der geheime Plan des Königs. Aber warum du? Wer ist dein Vater?”

Sellen zog belustigt eine Augenbraue hoch.

“Der Lord von Rotschilf. Kamm war einer seiner Vasallen, deshalb war ich bei den Truppen des Lord. Mein Vater gab mich als Preis für eine alte Schuld, als Knappen in Lord Kamms Dienste. Aber seit sich die meisten von Lord Kamms Männern versprengt haben, hielt mein Vater es für sicherer, wenn ich seinem Heer beitrete. Wir brechen morgen vor Sonnenaufgang auf. Ich konnte mich erst jetzt wegschleichen.”

Eola runzelte die Stirn und Sellen lächelte. Es war ein trauriges Lächeln.

“Mein Vater traut der Zauberin nicht. Er traut Magiern generell nicht. Vermutlich schickt ihn der König auch deshalb fort. Es ist besser, wenn er bei dem, was auf Talanthre geschehen wird, nicht dabei ist.”

“Aber da ist noch mehr, oder?”

Sellen nickte.

“Er hält dich für schlechten Einfluss. Einige der Lords glauben immer noch, dass du mit dem Feind im Bunde bist.”

“Danke.”

“Wofür?”

“Das du das nicht glaubst und dass du hergekommen bist. Hör zu, das was mit Lord Kamm passiert ist … Ich wollte wirklich nicht …”

Sellen trat einen Schritt auf sie zu und nahm ihre Hand.

“Mach dir bitte keine Vorwürfe. Du bist ein guter Mensch, Eola. Ich weiß, dass du das alles nie mit Absicht getan hättest. Dein Glück, wie praktisch es auch sein mag, hat dafür gesorgt. Ich bin mir sicher, hättest du gewusst, was passieren wird, du hättest es niemals so weit kommen lassen.”

Jetzt war es Eola, die seinem Blick auswich. Sie wusste, dass ihre Wangen ebenfalls etwas mehr Farbe bekommen hatten und verzog verärgert darüber das Gesicht. Vielleicht fühlte sie sich aber auch schuldig, denn sie wusste nicht, ob er Recht hatte. Sie wusste gar nichts mehr so genau, seit Kamm gestorben war. Sie zog ihre Hand fort und Sellen trat wieder einen Schritt zurück. Etwas in seinen Augen ließ Eola innehalten. Er mochte sie wirklich, der Idiot war doch tatsächlich verliebt in sie. Das passierte ihr zum ersten Mal. Männer nahmen sie sonst nicht so wahr, zumindest niemand, dem sie auch nur ein bisschen Aufmerksamkeit oder Respekt entgegenzubringen bereit war. Sie wusste beim besten Willen nicht, wie sie damit umgehen sollte.

“Ich, äh … Also wie gesagt … Danke, dass du gekommen bist.”

Sellen nickte, dann griff er in eine Tasche an seinem Gürtel und zog einen Gegenstand hervor. Es war ein kleiner heller Stein an einer dünnen Kette und als Sellen ihn ins Mondlicht hielt, fingen sich die weißen Strahlen des Mondes darin. Er war wunderschön.

“Oh”, hauchte sie und Sellen musste grinsen.

“Ich wusste, dass er dir gefällt. Er hat meiner Mutter gehört. Ein Nachalit aus Olentis, sie wachsen nur in der Wüste, deshalb sind sie beinahe weiß im Gegensatz zum Nachalit aus den kaiserlichen Minen.”

“Das kann ich nicht annehmen, du Idiot.”

“Du kannst und wirst. Wenn ich dich schon nie wieder sehe, will ich wenigstens, dass du jedes Mal an mich denkst, wenn du ihn anschaust.”

Er grinste wieder und Eola funkelte ihn böse an, nahm den Stein dann jedoch entgegen und betrachtete ihn genauer. Die Fassung war aus Silber und das feine Band bestand aus unendlich kleinen Ringen, die sich geschmeidig ineinander fügten. 

“Er ist wirklich wunderschön.” Dann runzelte sie jedoch die Stirn und sah ihn an. “Aber was soll das heißen, wenn du mich schon nie wieder siehst?”

Sellen räusperte sich und trat von einem Fuß auf den anderen.

“Was?”

“Ich habe nicht vor zu sterben, aber es wird Krieg geben, Eola. Selbst wenn ich überlebe, glaube ich kaum, dass du dich an mich erinnern wirst. Du bist für größeres bestimmt.”

Eola schnaubte belustigt, doch Sellen sah sie ernst an.

“Das meine ich ernst. Mit deinem Glück wirst du alles erreichen, was du dir je erträumt hast und ich bin nicht dumm. Ich weiß das ich in diesen Träumen nicht verkomme. Das ist okay. Aber ich kann nicht dabei sein.”

Eola wusste, was er sagen wollte.

“Danke. Und es tut mir leid, wirklich.”

Sellen lächelte und strich ihr eine Strähne widerspenstiges Haar aus der Stirn.

“Das muss es nicht. Gehab dich wohl Eola von der Silbersee.”

Eola schluckte und nickte, dann versuchte sie zu grinsen, doch brachte es nur halb zu Stande.

“Du auch Sellen. Du bist zwar eine totale Nervensäge, aber sterb nicht, ja?”

Er nickte, dann ging er davon und ließ Eola mit einem Kloß im Hals zurück. Wütend stampfte sie zurück zum Zelt. Verflucht, warum musste er auch so nett sein. Konnte er nicht wie die anderen Männer sein, grobschlächtig und ohne diese liebevolle Art, die sie so sehr an die Menschen erinnerte, die sie verloren hatte? Ihre Großmutter, Oine, ja selbst Lord Kamm und Kailan. Sie alle hatten sie genommen wie sie war, sie aufgenommen ohne Fragen zu stellen und jetzt waren sie alle tot. Nein, einer von ihnen hatte überlebt. Aber er wollte sie vermutlich niemals wiedersehen. Genau wie Sellen. Bajka saß auf ihrem Lager, als Eola ins Zelt schlüpfte, doch Eola konnte in der Dunkelheit hinter den Stoffbahnen den Ausdruck auf ihrem Gesicht nicht erkennen. Die Zauberin sagte nichts und Eola war dankbar dafür, auch ihr war nicht nach Reden zumute. Stattdessen legte sie sich wieder hin und zog das Bettzeug dicht unter die Nase. Krümel beschwerte sich kurz, als sie ihm den kuscheligen Platz auf dem Kissen streitig machte, doch sie kraulte ihn hinter den Ohren und er schmiegte sich schnurrend an ihre Wange. Eine einsame Träne versickerte im warmen Fell des Dämmerfuchs.  


Am nächsten Morgen, ritt Eola hinten auf Bajkas schwarzem Hengst mit. Nach einer halben Wegstunde setzte die Zauberin sich vom Tross der Wägen ab und lenkte das Pferd auf einen kleinen Feldweg, der zwischen zwei Hügeln hindurch führte. Wenn ihr auffiel, dass Eola wenig redete, sagte sie nichts dazu und irgendwann siegte Eolas Neugier über die Beklemmung.

“Wo reiten wir hin?", fragte sie die Zauberin und Bajka deutete auf einen weiteren Hügel, der sich jetzt aus dem Morgennebel schälte. Am Fuße erkannte Eola einige überwucherte Mauern, die einmal ein prächtiges Bauwerk gewesen sein mussten, denn immer noch erhoben sich hohe Säulen aus dem Dickicht und der Torbogen, auf den sie jetzt zu hielten, stand immer noch. Vielleicht auch durch den Efeu zusammengehalten, der wie kleine Schlange daran empor wuchs.

“Die Schamanen der Hügelstämme, waren immer schon stark mit der Natur und ihrem Land verbunden. Sie haben Tempel errichtet, die dafür gedacht waren, ihren Göttern eine Heimat zu geben.”

“Darüber stand etwas in “Die Geschichte der Hügelvölker”, Nukk, Seihde und Reehn, Fluss, Erde und Nacht, richtig?”

Bajka nickte

“Aber sie haben auch die Geister angerufen und an Orten wie diesen ist ihr magischer Abdruck zurückgeblieben. Wir werden ihn nutzen, um Magie zu wirken.”

Eola musste grinsen.

“Endlich.”

Bajka zügelte den Schwarzen und stieg ab, als sie die Ausläufer der Ruine erreicht hatten. Eola landete im hohen Gras und folgte der Zauberin. Die verblichenen Mauern bestanden aus aufeinander geschichteten Feldstein und Insekten summten und zirpten überall um sie herum. Es war ein beeindruckendes Konzert, das sich ebenso vom Gesang der Vögel speiste, die in den kleinen Birken und Eschen saßen, nicht weit entfernt vom Ruinenberg. Bjaka schlüpfte durch einen weiteren Torbogen, etwas kleiner als der erste und plötzlich standen sie in einem lichten Innenhof. Zwischen den Gräsern blitzen weitere Feldsteine auf und in der Mitte erhob sich eine verwitterte Skulptur. Das Wesen, das sie darstellte, erinnerte entfernt an eine Ziege, hatte jedoch das Gesicht eines Menschen und ging aufrecht. Auf dem Sockel der Statue erkannte sie einige verwaschene Zeichen, Runen. Bajka ging darauf zu und beugte sich hinunter. Dabei strich sie zaghaft mit den Fingern über einige der Zeichen und ein verträumter Ausdruck trat auf ihr Gesicht.

“Über die Magie der Dinge, haben wir ja bereits gesprochen. Sie kann ich dir leicht beibringen. Theoretisch reicht es dafür ein paar Runen zu kennen und zu wissen, wie man sie aktiviert. Doch es gibt noch eine andere Form der Magie. Eine viel tiefere Kraft, die so stark im Leben und der Materie verankert ist, dass eine Rune alleine nicht ausreicht um sie zu kontrollieren. Um auf sie zugreifen zu können, müssen wir uns selbst erkennen und in Einklang mit diesen Strömungen bringen.”

“Ist es das was ihr mit dem Brief gemacht habt?”

Bajka nickte.

Diese Art der Magie ist schwer zu meistern und um einiges gefährlicher als die Magie der Runen. Es gibt einen guten Grund, warum der Kaiser sie verboten hat. Aus Angst vor ihrer Macht hat er sie seinen Magiern entzogen und diejenigen verfolgt, die sie angewandt haben.”

"Sowie die Hexenmeister?”

Bajka nickte.

“Heute ist dieses Wissen verschollen. Selbst die Hexenmeister wussten an ihrem Ende kaum noch etwas über die Hex und selbst zu ihren Hochzeiten haben sie die Macht der Ströme nur selten benutzt. Die Hex ist eine Form der Magie, die nicht zu erlernen ist. Zumindest nicht im klassischen Sinne.”

“Heißen sie deshalb Hexenmeister?"

Bajka nickte.

“Ich werde dir zeigen, wozu die Hex in der Lage ist.” 

Dann ging sie langsam um die Statue in der Mitte des Innenhofes herum. Es musste sich um den Gott Seidhe handeln, nach dem, was Eola über ihn im Buch der Hügelvölker gelesen hatte.

“Damit du verstehst, welche Gefahr es birgt, sich ungeübt und ohne das nötige Wissen an Zauberei zu versuchen. Bevor du fragst, ich werde dir diese Form der Magie nicht beibringen. Sie ist zu gefährlich. Außerdem wissen wir noch zu wenig darüber wie deine eigene Kraft funktioniert. Die Magie des Kanaahn kommt nicht von hier, sie stammt vom vergessenen Kontinent. Die Magie der Schamanen hingegen gehört der Erde, den Flüssen und der Nacht.”

Was auch immer das bedeuten sollte. Eola nickte. Bajka lächelte, dann trat sie vor und schob Eola hinter sich. Sie krempelte die Ärmel hoch und entblößte dabei die Runen auf ihren Unterarmen. Eola sah fasziniert dabei zu, wie sie je eins der Zeichen sachte mit dem Finger streifte und die Runen zu glühen begannen. Wind kam auf und Eola fröstelte, als Bajka die Augen schloss. Lange Zeit geschah einfach nichts. Dann drang Nebel aus den Steinen zu ihren Füßen, kroch ihr in die Kleider, umhüllte sie im Bruchteil von Sekunden völlig. Es war ein anderer Nebel als der des Kaisers, zäh und feucht und beinahe lebendig. Dann schälten sich Gestalten aus dem Dunst. Eine junge Frau rannte direkt auf Eola zu. Sie wollte ausweichen, aber dann lief die Gestalt einfach durch sie hindurch und zerstob zu weißen Schwaden. Schreie wurden laut, Menschen liefen durcheinander, Feuer züngelte an den Mauern um sie herum und Nebelkrieger in glänzenden Rüstungen stießen wie zornige Hornissen unter die Fliehenden. Keine der Gestalten war bewaffnet und wer nicht floh, ergab sich den Schergen des Kaisers. Trotzdem mähten die Krieger sie nieder wie Unkraut, das es zu vernichten galt. Eiskalt lief es Eola den Rücken hinab. Dann war alles beinahe genauso schnell vorbei, wie es begonnen hatte. Der Nebel zog sich in kleinen Tornados in den Stein zurück, als hätte jemand die Zeit zurück gedreht. Bajka stand immer noch da, die Augen geschlossen, doch ihr Gesicht war jetzt so fahl wie der Nebel selbst, den sie heraufbeschworen hatte. Eola dachte schon, sie müsse gleich zusammenbrechen, denn die Zauberin schwankte leicht hin und her. Dann öffnete sie die Augen.

“Was war das?”, fragte Eola und stieß die Luft aus, die sie angehalten hatte, seit die Frau im Nebel durch sie hindurch gelaufen war.

“Der Nebel war mein Werk. Ich habe lediglich Wasser aufsteigen lassen.”

“Und die Bilder? Die Gestalten im Nebel?”

“Das war die Hex. An Orten wie diesen ist das was geschehen ist, stark mit ihr Verbunden, tief in der Erde verankert, mit dem Blut dort eingesickert, das vergossen wurde.”

Eola schluckte, dann runzelte Bajka die Stirn und murmelte etwas.

“Verdammt. Es ist noch nicht vorbei. Bleibt zurück, Kind!"

Den letzten Satz zischte sie beinahe und Eola folgte ihrem Blick.

Die Statue direkt vor ihnen, hatte sie sich gerade bewegt? Da war es wieder, Bajka hob eine Hand und berührte eine weitere Rune auf ihrem Oberarm. Das Zeichen glühte auf und im selben Augenblick stieg der Gott von seinem Podest. Der Stein knackte und bröselte, die dunklen Augen fixierten die Zauberin, dann Eola.

“Kchhss. Unwürdige an diesem Ort.” Die Stimme gehörte dem Gott aus Stein. Es klang als würden Felsen übereinander reiben und Bajka fluchte leise.

“Ein Wächter. Ich hätte es wissen müssen.”

Mit langsamen, ruckartigen Bewegungen landete der Wächter im Gras und Bajka berührte eine weitere Rune auf ihrem Handgelenk. Die Luft vor ihnen begann leicht zu flirren und als der Gott aus Stein vorschnellte, prallte seine Kralle an einer unsichtbaren Wand ab. Mehr neugierig als verwirrt, starrte der Wächter auf seinen Arm hinab. Dann griff er erneut an und Bajka wich einen Schritt zurück. Plötzlich hatte Eola einen seltsamen Druck auf den Ohren. Bajka musste etwas mit der Luft angestellt haben und jetzt drückte sie Eola auf die Trollenfelle. Doch Bajka verließ sich nicht allein auf die Verteidigung. Sie hatte immer noch die Hand erhoben und ihre Finger glühten in einem schwachen Rotton. Erneut griff der Wächter an, doch die Zauberin bewegte leicht die linke Hand und die Bewegung des Gottes verlangsamte sich, sie griff mit der rot glühenden Hand nach dem steinernen Arm und das Wesen fauchte gequält. Fasziniert sah Eola dabei zu, wie der Stein um Bajkas Finger herum erst Risse bekam und dann zerplatzte, wie sprödes Glas. Die Risse im Stein zogen sich bis über die Schulter des Wächters, doch er sprang zurück und brachte sich hinter dem Podest, von dem er gestiegen war, in Sicherheit. Bajka ging einen Schritt auf ihn zu und die Rune auf ihrem Unterarm leuchtete erneut auf. Ein Luftstoß traf den Wächter und schleuderte ihn zurück. Doch das Wesen aus Stein war schwer und so reichte sein Gewicht allein aus, das er auf den Beinen blieb. Bajka berührte eine weitere Rune an ihrem Ellenbogen und die Schlingpflanzen am Sockel des Podest begannen sich um die Füße des Wächters zu wickeln. Der steinerne Gott schlug danach, doch die Ranken wuchsen so schnell nach, dass er keine Chance hatte, ihnen zu entkommen. Bald war der Wächter über und über mit den grünen Pflanzen überwuchert und Bajka ließ langsam die Hände sinken. Doch der steinerne Wächter bewegte sich immer noch. Die Ranken würden nicht lange halten. Bevor er sich jedoch losreißen konnte, trat Bajka um das Podest herum und legte die flache Hand auf die Stirn des Seidhe. Der Wächter fauchte und grollte, doch die steinerne Haut bekam bereits Risse. Bajkas Hand glühte so stark wie noch nie und ihr Schweiß rann ihr über die zerfurchte Stirn. Die Runen auf ihrer Haut hatten eine ungesund schwarze Farbe angenommen. Bajka schloss die Augen und erste Brocken lösten sich aus dem Fell am Hals der Statue, dann bekamen auch der Torso und die krummen Beine Risse und schließlich zerfiel der steinerne Wächter in seine Einzelteile. Er gab ein letztes Röcheln von sich, dann zerstoben seine Klauen und der zerfetzte Kopf zu Sand der in einem sanften Schauer zu Füßen der Zauberin niederging. Die Zauberin hielt sich mit gequältem Ausdruck an dem Podest fest, neben dem sie stand und schwankte bedrohlich. Eola lief zu ihr hinüber und stützte sie.

“Es geht gleich wieder”, versuchte Bajka sie zu beruhigen, doch Eola sah sie besorgt an. Die Zauberin zitterte, und ihre Haut war eiskalt. Nur dort, wo die Runen, die sie benutzt hatte schwarz in ihre Haut eingebrannt waren, glühte ihre Haut, schwelte so heiß wie Kohlen.

“Was war das?”, fragte Eola und führte Bajka zu einer der Mauern auf der sie sich niederlassen konnte.

“Ein Wächter. Meine Magie muss ihn geweckt haben. Verstehst du es jetzt, Kind? Die Gefahr, die von der Hex ausgeht?”

Eola nickte.

“Wesen wie der Wächter oder der Alb unter der Burg auf Ärenfels können von einem einfachen Zauber erweckt werden. Du musst nicht einmal die Absicht haben sie zu rufen, die Hex und das Blut der Ahnen, die sie einst erschufen, riechen völlig aus. Orte wie dieser hier sind getränkt in Blut.”

“Dann hat jemand unter der Feste Magie gewirkt? Wie ist das Möglich, der Kaiser hat seine Magie verloren und niemand auf Ärenfels war ein Magier richtig? Sonst hättet ihr ihn gespürt.”

Bajka nickte.

“Es gibt jedoch Mittel und Wege, mit denen selbst unbegabte Menschen Magie wirken können. Bestimmte Gesteine zum Beispiel können Zauber speichern. Jeder kann einen solchen Runenstein benutzen. Der Kaiser selbst hat sie entwickelt, ihre Erschaffung war jedoch eins seiner bestgehütetsten Geheimnisse.”

“Das heißt, wenn jemand auf Ärenfels einen solchen Runenstein benutzt hat, muss er mit dem Kaiser im Bunde sein?”

“Oder einem seiner fähigsten Magier.”

"Dann gibt es tatsächlich einen Verräter unter den Männern des Königs?

Bajka nickte. Sie hatte wieder etwas Farbe dazu gewonnen und richtete sich jetzt langsam wieder auf.

“Ich habe einen Geheimngang gefunden, als Kailan und ich nach dem Kaiser gesucht haben. Einen Gang, der vermutlich bis in die Tunnel unter der Burg geführt haben.”

Bajka runzelte die Stirn.

“Und das war keine Information, die du für erwähnenswert hieltest?” 

Eola seufzte.

“Doch, ich hatte bisher nur keine wirkliche Gelegenheit, euch davon zu erzählen.”

Eole stockte, dann verzog sie leicht die Stirn.

“Vielleicht wollte ich auch einfach nicht darüber nachdenken. Es ist so viel passiert, seit wir gegen den Alb gekämpft haben. Ich habe es einfach vergessen.Außerdem wollte ich niemanden beschuldigen. Ich hab es euch nicht gesagt, weil der Tunnel in den Gemächern der Königinmutter endete. Sie kann einfach keine Verräterin sein. Ich habe mir eingeredet, es gibt bestimmt eine logische Erklärung für all das.”

Bajka strich sich mit abwesendem Blick über die Unterarme, dann krempelte sie vorsichtig die Ärmel über die verbrannte Haut.

“Es war klug diese Information für euch zu behalten. Aber ihr hättet mir früher davon erzählen sollen. Vorerst werden wir nichts unternehmen. Die Königinmutter hat zu viel Einfluss und das Vertrauen ihres Sohnes. Und es besteht immer noch die Chance, das sie anderweitig an den Runenstein gelangt ist, oder ihn gar nicht selbst aktiviert hat. Im besten Falle wusste sie gar nichts von den Tunneln und dem Geheimgang jenseits ihrer Räume.”

“Wie groß ist die Chance dafür?”, wollte Eola wissen und Bajka seuftzt. 

“Nicht besonders groß, wenn ich ehrlich bin.”

Dann wechselte die Zauberin das Thema.

“Was habt ihr gesehen, als ich den Nebel herauf beschworen habe?”

“Da waren Menschen und Krieger des Kaisers. Sie haben sie alle getötet. Das waren nicht nur Schamanen.”

Bajka nickte.

“Ist dasselbe auch auf Veygrad passiert?”

Bajka seufzte und fuhr sich mit zitternden Fingern durchs Haar.

“Ja, aber ich konnte fliehen. Damals war ich gerade mal so alt wie du.”

“Also kann man mit dieser Art der Magie in die Vergangenheit schauen?”

“Die Hex kann uns die Zukunft oder die Vergangenheit zeigen, aber sie lässt sich nicht kontrollieren und wendet sich, wenn du Pech hast gegen dich.”

“Gut, dass ich nie Pech habe”, antwortete Eola und grinste. Bajka warf ihr einen missbilligenden Blick zu.

“Und das, was Kailan und den Männern des Königs zugestoßen ist. Vielleicht wird der Schrecken dich verschonen, aber was ist mit deinen Freunden, was ist mit den Menschen, die du beschützen willst? Du kannst es nicht, das hast du selbst gesagt.”

Eola nickte und wurde rot. Bajka hatte recht. Sie konnte niemanden beschützen, aber genau deshalb musste sie es lernen.

“Also bringt ihr mir nun bei zu zaubern oder nicht?”

Bajka nickte und deutete auf das jetzt leere Podest vor ihnen.

“Schau dir die Runen dort an, die vier Rune der klassischen Elemente: Feuer, Wasser und Erde. Sag mir, welche Rune zu welchem Element gehört.”

Eola suchte auf dem Sockel nach einem Zeichen, das sie mit Feuer verband.

“Die hier”, sagte sie und deutete auf eine verschnörkelte Zickzacklinie.

“Das ist Feuer.”

Bajka nickte.

“Und weiter?”

Zwei Wellen, die von einem mit einem Haken besetzten Strich ausgingen, lagen der Feuerrunen gegenüber. Das war einfach. Sie tippte mit dem Finger auf das entsprechende Zeichen. “Wasser,” dann auf das nächste, “Und das muss Luft sein.”

Sie zeigte auf eine Rune, die wie eine Wolke geformt war. Übrig blieb nur noch ein Zeichen, eine eckige Rune mit nur wenig Schnörkeln. 

“Erde.”

“Sehr gut. Ich will das du sie dir einprägst.”

“Alle?”

Bajka seuftzte.

“Ja alle.”

Dann schürte sie einen kleinen Beutel vom Gürtel und reichte ihn Eola.

“Zeichne damit die Rune für Wasser auf einem der Feldsteine dort drüben.”

Im Beutel befanden sich die Reste eines schwarzen Pulvers.

“Das ist Kohlenstaub, nicht der beste magische Leiter, aber für das was wir vorhaben sollte er ausreichen.”

Eola ging zu den Steinen hinüber, die den kleinen Platz von den Ausläufern des Hügels trennte und kniete sich davor. Dann zeichneten sie die entsprechende Rune. Sie musste mehrmals ansetzen, um die Kohle genügend auf dem Stein zu verteilen und verglich dann ihre Version mit der Rune auf dem Sockel. Bajka trat neben sie und begutachtete ihre Bemühungen.

“Fast. Du hast den Schnörkel unten rechts vergessen. So wird bei ihrer Aktivierung höchsten dein Finger etwas nass.”

Eola nickte und ergänzte den Schnörkel.

“Gut, jetzt lege deine Hand darauf und schließe die Augen. Konzentrieren dich auf etwas nasses oder feuchtes, den Speichel in deinem Mund oder die Feuchtigkeit in der Luft.”

Eola nickte, ihre Kleider waren immer noch feucht vom Nebel, den Bajka beschworen hatte und es fiel ihr nicht schwer, sich darauf zu konzentrieren.

“Du kannst dir eine Rune wie ein Tor vorstellen. Wenn du dich darauf fokussierst, was sie beschwören soll, kannst du danach greifen, nach dem Wasser hinter dem Tor.”

Eola runzelte die Stirn. Der Stein war trocken und der Kohlenstaub unter ihrem Finger fühlte sich wie Sand an. Sie wusste beim besten Willen nicht, wie sie nach Wasser greifen sollte.

“Es funktioniert nicht,” seufzte sie und öffnete wieder die Augen. Bajka warf ihr einen strengen Blick zu.

“Versuch es weiter. Im Stein ist kein Wasser, du musst es durch die Rune hindurch spüren. In der Erde, in der Luft, überall sind kleine Partikel Feuchtigkeit zu finden, du musst nur danach greifen.”

Eola seufzte und schloss erneut die Augen. Sie konzentrieren sich auf die feuchten Kleider am Leib, dann auf die Rune und dann … spürte sie tatsächlich etwas. Es war nicht direkt Wasser, stattdessen hatte Eola das Gefühl die Rune unter ihren Fingers würde sich bewegen und leicht vibrieren. Der Stein unter ihrer Hand wurde wärmer und dann tat sich eine zweite Welt auf. Ihre Haut war plötzlich nicht mehr das, was ihren Körper eingegrenzte, ihre eigenen Gedanken nicht mehr das einzige, das sie wahrnahm und sie wusste jetzt instinktiv, was Bajka gemeint hatte. Sie musste nur zugreifen. Nicht mit ihrer Hand, sondern mit diesem neuen Ich, das sich jenseits ihrer selbst bewegte. Sie spürte das Wasser in der Luft, wie tausend kleine Wassertropfen auf ihrer Haut, die nicht mehr nur an einem Ort war, sondern überall gleichzeitig. Sie war der Raum zwischen den Tropfen und ihre Füße reichten bis in den Boden, berührten kleine Rinnsale aus Wasser und feuchte Erde. Sie streckte die Hände aus, die nicht mehr nur ihre eigenen Hände waren. Es waren Fühler, tausende davon, die sich bis zum Himmel empor streckten und durch die nassen Wolken züngelten, wie gierige kleine Schlangen, die alles Wasser aufsaugten, was sie berührten. Eola griff danach, wie Bajka gesagt hatte, und Kälte durchströmte sie, flüssige kühle Energie, die jeder Winkel ihres grenzenlosen neuen Körpers ausfüllte. Es war berauschend, im wahrsten Sinne des Wortes. Wasser rauchte ihr durch die Adern, die sich über den ganzen Himmel erstreckten. Und dann war es plötzlich vorbei. Sie kippte nach hinten und war wieder in ihrem Körper, der sich jetzt wie ein Gefängnis anfühlte, eingeengt und dunkel. So musste sich ein Blinder fühlen und Eola keuchte auf. Doch um sie herum immer noch taghell. Nur im Vergleich zu dem, was sie gerade gespürt hatte, war es ernüchternd. Sie sah auf in Bajkas besorgtes Gesicht. Die Haare klebten der Zauberin am Kopf und ihre Kleider waren klatschnass. Dann erst spürte Eola selbst die dicken Tropfen auf ihrer Haut. Es regnete, wie aus Kübeln, dabei schien immer noch die Sonne. Eola runzelte die Stirn. War sie das gewesen?

“Geht es dir gut, Kleine?”

Eola nickte, sie fühlte sich immer noch dumpf, etwas ausgelaugt vielleicht, aber insgesamt nicht schlechter als vorher..

“Gut”, antwortete sie, was nur halb der Wahrheit entsprach. Es fühlte sich jetzt so an, als fehlte ihr etwas, von dem sie vorher nicht gewusst hatte, dass es ein Teil von ihr war. Oder besser gesagt, dass sie ein Teil von dem war, das sie gespürt hatte. Denn das Wasser überall um sie herum als einen Teil von ihr zu bezeichnen, wäre wohl größenwahnsinnig. Ein erleichterter Ausdruck trat auf Bajkas Gesicht und sie half Eola auf die Beine. 

“Das war unglaublich. Ich habe die Wolken gespürt, das Wasser im Boden und in der Luft, einfach alles.”

Bajka nickte.

“Es kann überwältigend sein. Aber du hast Glück gehabt. Regen zu beschwören ist keine leichte Sache. Es kostet sehr viel Kraft, Kraft die von irgendwoher kommen muss. Vergiss das nie. Es scheint allerdings so, dass dir Kanaahn auch hierfür seine Kraft leiht.”

Eola grinste.

“Also bin ich mächtig, was?”

Bajka nickte.

“Es macht dich aber auch gefährlich. Sei nächstes Mal vorsichtiger. Bei Wasser kann nicht viel schief gehen, aber hättest du dasselbe mit Feuer angestellt, du hättest gut uns alle beide zu Asche verbrennen können, ohne es zu realisieren. Magie ist kein Spielzeug.”

Eola nickte, konnte jedoch nicht aufhören zu grinsen. Sie hatte tatsächlich Regen gemacht, das war einfach Wahnsinn.





Mittwoch, 26. März 2025

Die Zauberin; Das Glückskind: Gentilis; Kapitel 13


Wissen ist Macht


“Hochvereehrte Lords und Ladys, lobgerpriesene Hoheit.”

Fayad Dimitas verbeugte sich so tief vor Eolin, dass sein blonder Zopf beinahe die vergoldeten Stiefel berührte. Dann schenkte er ihm sein bestes Lächeln und sprach weiter.

“Viele der Könige des Südens wurden einst ausgelöscht oder haben sich dem Kaiser unterworfen. Keiner von ihnen war in der Lage, dem Nebel, der brutalen Hand des fremden Herrschers, Widerstand zu leisten, der ihre Länder überfiel und alles niederbrannte, was ihm in die Quere kam.”

Fayad machte eine kurze Pause, um das Schreckensbild wirken zu lassen, das er gezeichnet hatte. Eolin blieb unbeeindruckt, aber einige der Lords und Ladys rutschten unruhiger hin und her, sie waren es nicht gewohnt, das jemand ihnen ihr Versagen so öffentlich unterbreitete.

“Lord von Ärenfels jedoch,”, Fayad hob einen Finger, “euer verehrter Vater, war einer der wenigen Könige, der sich dem Einfluss des Kaisers entziehen konnte. Ein Mann, der seine Krone zum Schutz seiner Untertanen aufgegeben hat. Er war schlau genug, sich dem Kaiser zu beugen und auch wenn viele es einst als Schwäche ansehen, so ernannte ihn der Kaiser doch zum Präfekten. Es war diese Weitsicht, die es seinem Sohn erlaubte, sich erneut eine Krone aufzusetzen, meint ihr nicht auch, eure Majestät?”

Der König erwiderte seine Frage mit einem knappen nicken, doch sein Lächeln wirkte gequält.”

“Und es gab noch einen weiteren König, der sich nicht unterworfen hat.” Dabei sah Fayad genau, dass sich jetzt einige der Adligen doch fragten, ob man das von Eolins Vater denn so behaupten könne, doch sein Triumph darüber war wie immer gut hinter der Maske versteckt, hinter dem sanften Lächeln seiner feinen Lippen.

“Lord Morelli ist nach dem Siegeszug des Kaisers ins Asyl gegangen und erst vor drei Monaten aus seinem Domizil im Süden wiedergekehrt.”

Fayad machte eine ausladende Handbewegung zum Stuhl zu seiner Rechten und deutete dabei eine weitere Verbeugung an, nicht ganz so tief jedoch wie vor dem König, mit dem er hergekommen war, Lord Eolin.

“Seine Untertanen empfingen ihn mit offenen Armen. Denn sie sahen in ihm ihren Erretter und auch er versprach, dass er das Joch des Kaisers lüfte, unter dem wir alle bangten. Denn der Kaiser ist gefallen und all seiner Macht beraubt."

Lord Morelli nickte König Eolin zu. Er trug ein Oberteil aus dunkler Seide, das mit goldenen Runen verziert war, die silberne Krone saß etwas schief auf seinem grauen Haar, doch darunter blickten zwei scharfe blaue Augen in die Runde. Der Ausdruck auf seinem Gesicht war der eines Mannes, der genau wusste, wie er auf andere wirkte, sich aber nicht darum scherte. Er schien beinahe immer wütend oder zumindest verärgert zu sein, ein Eindruck der durch seine kantigen Züge noch verstärkt wurde.

“Doch was wäre ein gutes Bündnis mit nur zwei Bündnispartnern? Jede berühmte Übereinkunft zählt der Parteien drei: Der Dreierbund von Thießen, die drei Kriegsherren von Eibhain, die drei Geister vom Jammertal.”

Letzteres war eine Kindergeschichte und Fayad erntete für den Witz tatsächlich einige kurze Lacher, doch er hob schnell die Hand und es wurde wieder still.

“Und deshalb möchte ich euch zu guter Letzt die Fürstin Layjassa Turi vorstellen. Bisher waren die Bergstämme versprengt, sich selbst der größte Feind, bis der hier anwesenden Fürstin der Berge, das Unmögliche gelang. Sie vereinte Ta’Au und Rihann, die letzten der Kattlan und Mahyr." 

Im Vergleich zu Lord Morelli war die Fürstin der Berge ein Chamäleon. Sie trug bunte Kleider und farbige Tätowierungen im Gesicht und lächelte das wilde, freie Lächeln das nur den Bergstämmen zu eigen war, stolz und doch mit einer Leichtigkeit gepaart, die von wilden Tänzen und einer Liebe zum Leben zeugte. 

“Wilkommen in Riedhalm”, begrüßte Eolin die beiden fremden Herrscher nun und erhob sich nach Fayads Ansprache. Er selbst war damit entlassen, das wusste er und trat mit einer letzten Verbeugung zur Seite.

“Willkommen Lord Eolin”, antwortete Layjassa Turin. Die Fürstin neigte dabei leicht den Kopf und machte eine Geste mit den Händen, die in ihrem Volk als Ehrenbezeugung galt. Lord Morelli nickte lediglich. 

“Wir alle sind aus demselben Grund hier”, fuhr König Eolin fort. “Doch es wird kein einfacher Siegeszug werden, der Einfluss der Oligarchen ist immer noch groß. Aber seit langem haben wir wieder eine tatsächliche Chance. Ich freue mich, das wir nicht nurden König von jenseits der Berge auf unserer Seite haben.”

Dabei lächelte er Fürstin Layjassa zu und sie erwiderte sein Lächeln.

“Natürlich Lord Eolin. Mein Volk hat unter dem Einfluss des Kaisers gelitten wie alle, die sich ihm nicht gebeugt haben. Als wir von eurem Feldzug erfuhren, sind wir nach Riedhalm geeilt. Dieses Bündnis wird tief in Stein geboren.”

“Eine Redensart?”, fragte Eolin und Layassa nickte, dabei führte sie erneut die Hände zusammen und schlug sie sich sacht gegen die Brust.

“In Stein geboren.”

Lord Eolin wiederholte die Geste, doch bevor sie weitere Höflichkeiten austauschen konnten, räusperte Lord Morelli sich.

“Dann ist euer Ziel die Hauptstadt des Kaiserreiches?”

Eolin nickte und wandte sich ihm zu.

“Uns wurde zu Ohren getragen, dass eure Zauberin ein Mittel gegen die Magier der Akademie besitzt?”

“Und uns wurde ebenfalls geflüstert”, fügte die Fürstin hinzu. “Das ihr den Kaiser in eurer Gewalt habt? Ist er das besagte Mittel?”

Bajka schüttelte den Kopf und trat vor.

“Das wir des Kaisers habhaft werden konnten war eine glückliche Fügung. Mein Plan sieht es vor, die Magier zu spalten. Nicht alle sind dem Kaiser oder den verbliebenen Oligarchen treu ergeben. Ich besitze Informationen, die diese Spaltung noch vorantreiben werden.”

Morelli zog eine Augenbraue hinauf.

“Ich nehme nicht an, dass ihr uns diese Informationen mitteilen wollt?”

Bajka zuckte mit den Schultern.

“Abgesehen davon, dass ihr vermutlich nichts davon versteht, sind es sehr brisante Informationen. Sie gehen nur mich und die Magier der Akademie etwas an.”

Eolin seufzte.

“Mehr bekomme ich auch nicht aus ihr heraus. Aber ich vertraue der Lady von Veysgrad. Ihre Weisheit hat dafür gesorgt, dass wir des Kaisers habhaft werden konnten.”

Morellis Augen verengten sich.

“Ich habe gehört, dass ein Mädchen von der Silbersee, dies erreicht hat. Wo ist sie gerade? Mir scheint, sie hat ebenfalls wichtige Informationen, die uns alle etwas angehen?”

“Eola, das Mädchen, von dem ihr sprecht ist noch jung. Sie hat auf einem Treffen wie diesem nichts zu suchen.”

Jetzt warf auch die Fürstin der Berge Bajak einen seltsamen Blick zu.

“Ihr wisst eine Menge, dass ihr nicht preisgeben wollt, Zauberin."

“Beizeiten werde ich alle nötigen Informationen enthüllen. Aber umso weniger Menschen über gewisse Dinge Bescheid wissen, desto sicherer. Ich werde diese Unternehmung nicht dadurch in Gefahr bringen, dass ich entscheidende Informationen in einer so großen Runde wie dieser enthülle.”

Eolin nickte.

“Wir sind alle auf derselben Seite.”

Fayad räusperte sich und trat vor, ihm schien es ein guter Moment zu sein, noch etwas zu sagen, das ihm auf der Zunge lag. Bajka von Veysgrad warf ihm dabei einen Blick zu, der ihm verriet, dass sie nicht begeistert von der Rolle war, die er in all dem einnahm.

“Ich habe dieses Treffen in die Wege geleitet und des Friedens willen, möchte ich eine Sache ansprechen, die entscheidend sein sollte. Was passiert mit den Territorien des Kaisers, wenn dieser Krieg erst gewonnen ist?”

Eolin runzelte die Stirn und wenn die Frage Morelli aufstieß, ließ er es sich nicht anmerken. Fürstin Layjassa hingegen brach in Gelächter aus.

“Wollt ihr dieses Bündnis schon spalten, bevor es überhaupt zusammengefunden hat?”, fragte sie dann und zog eine Augenbraue hinauf.

“Die Bergstämme sind nicht darauf erpicht, ihr Gebiet zu erweitern. Wir wollen nur die Länder zurück, die unseren Ahnen einst entrissen wurden.”

Dabei warf sie der Zauberin einen kurzen Blick zu und Fayad machte sich im Geiste eine Notiz.

“Diese Frage lässt sich auch noch erörtern, wenn wir die Hauptstadt eingenommen haben”, sagte König Eolin. “Es wird sich außerdem zeigen, wie viel des Einflussgebietes der Oligarchen wir überhaupt befreien können. Nur weil wir die Hauptstadt genommen haben, heißt das nicht, dass sie keinen Widerstand mehr leisten werden.”

“Der Kaiser konnte ein so großes Gebiet wie die seiben Reiche nur dank seiner Nebel halten”, gab Lord Morelli zu bedenken.

“Das sind alles äußerst wichtige Fragen, aber ich stimme König Eolin zu, solange wir die Hauptstadt nicht genommen haben, ist es müßig, sich darüber Gedanken zu machen”, mischte sich die Zauberin jetzt ein. “Zu diesem Zeitpunkt sollten wir uns um zwei Dinge kümmern. Erstens, welche Verbündete wir noch für unsere Sache gewinnen können. und zweitens welche der Oligarchen die größte Bedrohung darstellen. Außerdem werde ich nicht alle Magier auf unsere Seite ziehen können. Zum gegebenen Zeitpunkt wird es nötig sein, zu entscheiden, was wir mit denen machen, die sich uns widersetzen.”

Morelli schnaubte.

“Was ist das für eine Frage Zauberin?”

Bajka zog lässig eine Augenbraue hinauf und sah ihn geradewegs an.

“Wir können sie nicht alle hinrichten, Lord. Einige von ihnen sind langjährige Führer der kaiserlichen Armeee. Ihr Tod würde uns mehr Probleme machen, als uns lieb ist.”

Eolin nickte und schnitt Morelli das Wort ab, der anscheinend noch etwas dazu hatte sagen wollen.

“Auch darüber werden wir uns zu gegebener Zeit Gedanken machen. Gibt es noch weitere Frage? Sonst würde ich mich mit Lady Layassa und Lord Morelli gerne über die Organisation der Truppen sprechen.”

Die nächste halbe Stunde taten die drei Herrscher genau das und Fayad versuchte, sich seine Langeweile nicht anmerken zu lassen. Er prägte sich jede Information genau ein, dann entschuldigte er sich. Das Treffen war in kleiner Gespräche zerfallen. Lord Eolin schien an der Fürstin gefallen zu finden, denn sie unterhielten sich ausgelassen. Lord Morelli hingegen war in ein Gespräch mit der Zauberin verwickelt, das Fayad allerdings nicht mithören konnte. Die Zauberin hatte irgendetwas mit der Luft angestellt, sodass keines der Worte an Fayads Ohr drang. Also streifte er etwas ziellos durchs Lager und kam schließlich vor dem Gehöft aus, das er in den letzten paar Tagen beobachtet hatte. Riedhalm war so klein, dass es keine Kerker gab und so hatten sie ihn hier eingeschlossen. Der Keller war der sicherste Raum im Dorf. Fayad war nicht wohl dabei, was er vorhatte, aber wenn es darum ging, sich einen Vorteil zu verschaffen, musste man Opfer bringen, das hatte er bereits früh gelernt. Seit ihrer Abreise war die Zauberin mit der Sicherheit des Kaisers beauftragt. Fayad brauchte einen Plan und zwar einen guten. Er hatte die letzten paar Tage damit verbracht, das Gehöft zu beobachten. Er hatte sich gemerkt, wann die Diener ihm das Essen brachten, wann die Wachen ihren Schichtwechsel vollzogen und nur auf eine Gelegenheit gewartet, dass die Zauberin abgelenkt war. Jetzt, da das Treffen mit den fremden Herrschern in vollem Gange war, erschien ihm dieser Moment gekommen. Ein Eindringen bei Nacht war zu gefährlich, er wusste nicht, welche Sicherheitsvorkehrungen die Zauberin getroffen hatte und gegen magische Fallen war er machtlos. Aber es gab immer Mittel und Wege und Fayad kannte sie alle. Er schlenderte zu einigen Zelten hinüber, die als Feldküche dienten. Die Rufe der Köche und Bediensteten schallten ihm entgegen und er fasste einen der Gardisten ins Auge, der in einiger Entfernung stand und sich mit zwei Männern des Königs unterhielt. Er trat zu ihnen und sah zur Küche hinüber. Die Männer verstummten und sahen ihn an.

“Lord? Gibt es ein Problem?”

Fayad verzog leicht das Gesicht und zögerte, bevor er sagte:

“Es ist vermutlich nichts Hauptmann …”

“Spuckt es schon aus.”

Fayad lächelte gequält und zupfte sich, gespielt nervös am Saum seiner Tunika.

“Ich will keine Gerüchte verbreiten, aber ich komme gerade vom Treffen des Königs und … Nun ja, sie fürchten wohl um die Sicherheit des Kaisers.”

Der Hauptmann nickte, schien jedoch nicht sonderlich besorgt.

“Nun habe ich gerade gesehen, wie einer der Diener dem Essen des Kaisers etwas hinzugefügt hat. Vermutlich bin ich einfach nur paranoid, aber ihr wisst ja, wie wichtig er für diese Unternehmen ist. Unsere Feinde würden wohl einiges tun, um ihn zum Schweigen zu bringen.”

Der Hauptmann überlegte kurz und sah Fayad einschätzend an.

“Ihr wart im Thronsaal auf Ärenfels, richtig?”

“Ich bin nur ein unbedeutender Berater.”

Der Hauptmann nickte.

“Welcher Diener war es?”

Fayad deutete auf einen Jungen in weiser Jacke, von dem er wusste, dass er dem Kaiser um diese Zeit das Essen brachte.

“Es ist vermutlich nichts …”

“Das werden wir sehen.” 

Der Hauptmann schob Fayad beiseite und ging auf den Burschen zu. Fayad sah jedoch nicht mehr dabei zu, was geschah, stattdessen ließ er sich zurückfallen und entschlüpfte im Gedränge der Feldküche. Dann steuerte er erneut auf das Gehöft zu. Fayad wartete im Schatten der Stallungen, bis der Diener zehn Minuten später in Richtung der kleinen Tür eilte, vor der die Zauberin zwei Wachen positioniert hatte. Fayad fing ihn ab, bevor er das Gehöft erreichen konnte, doch gerade so in Hörweite der beiden Gardisten.

“Hey, ihr da!”

Der Diener zuckte zusammen und wandte sich um.

“Was hat das so lange gedauert!”

Fayad baute sich vor ihm auf und stemmte die Hände in die Hüften.

“Verzeiht Lord, ich wurde aufgehalten.”

“Lord Hagen wartet schon seit über zehn Minuten. Er mag es gar nicht zu warten.”

Der Diener schluckte, wurde blass und machte eine Verbeugung, bei der ihm beinahe das Tablett aus der Hand fiel.

“Es tut mir ausgesprochen leid, Herr. Die Gardisten des Königs haben mich aufgehalten …”

Fayad warf ihm einen strengen Blick zu und machte eine Handbewegung, mit der er dem nervösen Diener kurzerhand das Wort abschnitt.

“Mich interessieren eure Ausreden nicht.”

“Natürlich, Herr. Ich werde gleich nachdem …”

Wieder unterbach Fayad ihn.

“Sofort Bursche!”

Dann blickte er abschätzig auf das Essen auf dem Tablett, trockenes Brot und etwas Käse.

“Was ist das denn?”

“Das Essen für den Kaiser.”

“Hmh. Glaubt ihr wirklich, das hat Vorrang vor dem Braten des Lord?”

“Nein, Herr.”

Der Bursche sah beschämt zu Boden. Fayad seufzte und streckte die Hand aus.

“Gebt schon her.”

“Lord, die Zauberin besteht darauf …”

Er sprach nicht weiter, dieses Mal schien Fayads Blick allein auszureichen. 

“Wollt ihr, dass ich dem Lord sage, dass ihr sein Essen habt kalt werden lassen, um zuerst den Feind zu bewirten?”

“Nein, Lord. Natürlich nicht. Es tut mir leid Lord.”

Damit überließ er Fayad das Tablett und eilte davon und ein kurzes Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. Dann setzte Fayad erneut die Miene eines grimmigen Lord auf, der so gar nicht  damit zufrieden war, die Aufgabe eines einfachen Dieners übernehmen zu müssen und marschierte auf die Tür des Gehöft zu. Kurz versperrten die Wachen ihm den Weg und er meinte schon sein Spiel hätte nicht die erhofften Früchte getragen. Doch er warf den Gardisten einen kurzen Blick zu und schließlich gaben sie den Weg frei. Wie Fayad gehofft hatte, waren sie wenig erpicht darauf, in die Probleme des Dieners verwickelt zu werden. Er trat durch die niedrige Tür und musste den Kopf einziehen, um in den tiefer gelegenen Raum zu gelangen. Im Dämmerlicht dahinter konnte Fayad kaum etwas erkennen und er gab seinen Augen Zeit, sich an die Lichtverhältnisse zu gewöhnen. Der Kaiser der Nebelreiche saß in gekrümmter Haltung auf dem Boden, schwere Ketten lagen um seine Glieder und das bisschen Stroh, das es gab, hatte er zu einem kleinen Lager aufgehäuft. Er sah auf und auch wenn sein Körper alt und schwach war, blickten Fayad die wässrig grauen Augen scharf an. Er sagte nichts, sah nur kurz auf das Tablet hinab, das Fayad vor ihm abstellte und musterte ihn dann erneut. Fayad ging vor dem ehemaligen Herrscher der Nebel auf die Knie und zog etwas aus den Falten seiner Tunika. Die Augen des Kaisers verengten sich zu Schlitzen.

“Ihr wisst was das ist?”, fragte Fayad ihn und hielt den kleinen grünen Stein ins Licht, auf dem eine einzelne Rune eingelassen war. Der Kaiser schnaubte leise.

“Natürlich. Ich habe die Runenstein erschaffen, Junge."

“Dann wisst ihr auch, wozu dieser hier in der Lage ist?”

Wieder nickte der Kaiser.

“Ihr bringt uns beide in Gefahr, ihn überhaupt hierher zu bringen.”

Fayad lächelte.

“Oh, ich bin mir sicher, dass ihr einen Weg finden würdet diese Gefahr zu bannen.”

“Ihr habt keine Ahnung, mit wem ihr euch anlegt.”

Fayad ließ den Runenstein wieder in den Falten seiner Tunika verschwinden, dann stand er auf und späte zur Tür hinüber.

“Ihr redet von der Zauberin Bajka? Sie ist abgelenkt. Aber nicht mehr lange. Wir haben nicht viel Zeit.”

Der Kaiser nickte.

“Was wollt ihr?”, fragte er dann.

Fayad zögerte, er hatte lange überlegt, was er sagen würde, sobald er es hierher geschafft hatte und trotzdem musste er sich die Wörter erst wieder zurecht legen. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.

“Ich will wissen, was die Zauberin in Talantreh suchte. Was verspricht sie sich von den Magiern der Akademie?”

Der Kaiser lächelte.

"Das, was sie offiziell dort will, oder das, was sie selbst dort sucht?”

“Was wohl?”, fragte Fayad und kniete sich wieder vor dem Kaiser hin.

“Sagt es mir oder ich muss vom Runenstein Gebrauch machen.”

“Das wäre euer Tod, Junge.”

Fayad verzog leicht das Gesicht. Er mochte nicht, wie der Kaiser ihn behandelte. Er war kein kleines Kind und diese ganze Sache hatte ihn zu viel Geld und Mühe gekostet, um sich jetzt abspeisen zu lassen.

“Vermutlich, aber ich würde euch mitnehmen. Habt ihr es so eilig zu sterben?”

Der Kaiser lächelte.

“Ich glaube, ich habe weniger zu verlieren als ihr.”

Er hatte Recht und Fayad wusste bereits, was kam. Die Bitte, die der Kaiser an ihn richtete, überraschte Fayad trotzdem.

“Ich werde es euch sagen, wenn ihr das Mädchen her bringt. Das Kind, das für meine Gefangennahme verantwortlich ist.”

Fayad nickte.

“Ich weiß wen ihr meint. Ein ausgesprochen … selbstbewusstes Kind. Was wollt ihr von ihr?”

“Nur reden.”, antwortete der Kaiser..

“Ich weiß nicht, ob mir das möglich ist.”

“Dann macht es möglich oder das Geheimnis der Zauberin wird mit mir sterben.”

Fayad seufzte und stand wieder auf.

“Nun gut. Bleibt brav hier.”

Der Kaiser schnaubte belustigt und Fayad ging zurück zur Tür. Kurz davor hielt er noch einmal inne.

“Warum das Mädchen? Was ist an ihr so besonders?”

Der Kaiser lächelte sein unheimliches Lächeln, antwortete jedoch nicht. Nun gut, Fayad würde schon noch herausfinden, was der Kaiser der Nebelreiche von einem einfachen Mädchen vom Silbermeer wollte. Dann verließ Fayad die Dämmerung und trat zurück ins Sonnenlicht.