Der Alb
Sie hörte die Stimmen der Gardisten zuerst, dann das Gebell der Hunde und schließlich drang Fackelschein durch die Bäume. Eola zog sich in den Eingang der Höhle zurück. Sie suchten nach ihr, die Fackelträger liefen in Reihen durch die Bäume und leuchteten jeden Meter aus.
“Die Hund haben eine Spur”, rief jemand, dann erklang die Stimme des Leutnant,
“Der König will sie lebend, aber er hat nicht gesagt, dass sie nicht verletzt werden dürfen.”
"Verstanden Lord, lasst die Hunde los! Hetzen wir sie ein bisschen.”
Gelächter wurde laut. Eola schob sich durch den Eingang in die Höhle und wartete nicht ab, bis sie sie gefunden hatte. Zum Glück hatte sie noch die Zündhölzer, die im Geheimraum gelegen hatten und als sie um die erste Biegung war, entzündete sie eins davon. Es brannte schnell herunter, ein sanfter Luftzug wehte durch die Tunnel in Richtung des Eingangs. Das Bellen der Hunde wurde immer leiser, doch Eola war sich sicher, dass sie den engen Zugang erreicht haben mussten. Warum folgten sie ihr nicht? Das Zündholz erlosch und sie stand im Dunkeln. Sie wollte nicht gleich alle verbrauchen und so tastete sie sich weiter die Wände entlang. Die Tunnel konnten nur tiefer hineinführen und sobald sie sich sicher war, die Gardisten abgehängt zu haben, konnte sie sich immer noch orientieren. Fünf Minuten später stellte sie fest, dass sie sich darauf vielleicht nicht hätte verlassen sollen. Eola hörte keine Gardisten hinter sich im Gang, doch als sie das nächste Zündholz ansteckte, stellte sie fest, dass sie sich in einer Sackgasse befand. Sie lief den Gang zurück und als sie eine Kreuzung erreichte, erlosch der zweite Spahn bereits. Sie tastete sich den Gang vorwärts, von dem sie meinte, er führte in eine andere Richtung als die, aus der sie gekommen war. Jetzt hörte sie die Gardisten doch. Sie waren direkt hinter ihr.
Eola beschleunigte ihren Schritt, stolperte, doch hatte die Wand im Rücken. Ihre Schritte hallten laut in ihren Ohren, vermutlich lauter als sie eigentlich waren, aber ihr Herz klopfte trotzdem bis zum Hals. In der Dunkelheit wurde jedes Geräusch überdeutlich, die Schritte der Gardisten schienen ganz nah, der Wind im Gang ein leises Säuseln, schien ihr wie Stimmen der Geister. Dann verschwand die Wand unter ihren Händen und sie stolperte in einen großen Raum. Von irgendwo über ihr schien Licht. Bevor sie sich umsehen konnte, wurden hinter ihr Schreie laut, die ich Echos durch die Windungen der Tunnel brandeten. Das Kreischen von Stahl folgte, dann ein Brüllen wie von einer verwundeten Bestie. Sie fuhr herum und wich zurück, starrte mit aufgerissenen Augen auf den Tunneleingang vor ihr, ein Loch aus Dunkelheit. Da erklang plötzlich eine Stimme hinter ihr und Eole fuhr erneut herum.
“Du hast dir Zeit gelassen”, sagte der Kaiser. Er stand mitten im Raum, vom sanften Lichtschein über ihnen erleuchtet. Er wirkte noch älter als das letzte Mal, das Eola ihn gesehen hatte, im Kerker und jetzt erkannte sie, woher das Licht über ihnen kam. Die eisernen runden Gitter hatte sie auch in ihrer Zelle gesehen, nur von oben.
“Was ist da draußen los? Was habt ihr getan?”
Der Kaiser hob beschwichtigend die Hände. Der Raum war nicht groß, es gab keine Gräber oder große Denkmäler, es musste sich um einen anderen Raum handeln als die Grabkammern.
“Ich habe gar nichts getan. Es gibt noch andere, die hier unten wandeln. Ich habe die Schrecken nur geweckt, die bereits im Schatten hausten.”
Eola sah ihn skeptisch an. Der Kaiser trat einen Schritt auf sie zu und ein Kribbeln in ihrem Nacken, ließ Eola zurückweichen. Die Schreie hinter ihr wurden leiser und schließlich war es wieder unheimlich still.
“Was habt ihr getan?”, wiederholte sie im Flüsterton.
“Hört mir zu, Kind. Ich will dir helfen. Wie ich schon sagte.”
Eola wurde wütend.
“Dann ruft dieses Monster zurück!”
Er schüttelte langsam den Kopf.
“Das kann ich nicht. Einen Albtraum wie diesen kann man nicht aufhalten. Du willst wirklich bei der Zauberin in die Lehre? Nachdem was ich dir über sie gesagt habe?”
Eola nickte und der Kaiser seufzte.
“Nagut, dann werde ich mit dir zum König kommen. Deinem Glück habe ich eh nichts entgegenzusetzen.”
“Und was ist mit diesem Monster? Was ist mit Kailan? Lord Kamms Männern? Wir müssen sie retten.”
Der Kaiser schüttelte traurig den Kopf.
“Sie sind bereits tod. Selbst wenn sie noch atmen. Ein Alb verschont keine Beute, die er einmal gewittert hat.”
“Ein Alb?”, fragte Eola. Der Kaiser nickte und trat noch einen Schritt näher.
"Wesen, die aus Hass und Verzweiflung der Menschen entstehen. Hier gab es viel davon und daran war ich nicht ganz unbeteiligt. Als die Stämme der Hügelländer sich nicht unterwerfen wollten, habe ich meine Nebel geschickt.”
Eola hatte die Geschichten gehört. Es gab verschiedene Erzählungen, was die Nebel des Kaisers alles vermochten, welches Leid sie verursacht hatten.
“Sie haben sich der Einheit widersetzt, die ich ihnen schenken wollte. Selbst untereinander haben sie sich bekriegt und ich wusste, dass ich diese Uneinigkeit nutzen konnte. Also drangen meine Nebel in ihre Köpfe ein und entfachten ein Feuer, das heiß und zerstörerisch brannte.”
Der Kaiser machte eine Pause und Trauer stand auf seinem Gesicht. Fühlte er etwa wirklich mit denen, die er vernichtet hatte?
“Ich wollte nie, dass es so weit kommt. Einer der Stämme, aus den Bergen, stellte sich gegen die Schamanen der Ahnenhügel. Die Bewohner der Hügelländer hatten sie einst in die eisigen Berge verbannt und sie sannen bereits auf Rache, bevor meine Nebel sie erreichten. Trotzdem mache ich mir Vorwürfe. Ich hätte es wissen müssen. Ich habe ihren Hass gespürt. Meine Nebel haben mir zugetragen, was ihnen vorschwebte, aber ich habe zu spät erkannt, was das bedeuten würde.”
Eola schnaubte.
“Ihr habt kein Recht, euch schuldig zu fühlen. Ihr habt alles ausgelöscht, was euch im Weg stand. Ihr selbst, seid der Hass, der die Welt zerfrisst.”
Der Kaiser nickte.
“Vielleicht. Aber ich habe damals gedacht, mein Traum von einem geeinten Reich sei es Wert. Etwas, das ich mittlerweile bereue. Unsere Unterschiede machen uns erst zu Menschen. Ich habe versucht, alles zu unterdrücken, das anders war, von dem ich vermutet habe, es könnte eine Gefahr darstellen. Aber Leid und Tod gehören genauso zu dieser Welt, wie alles auch Gute in ihr. Es macht das Leben erst lebenswert. Mein alter Freund hat versucht, mich das zu lehren, aber erst jetzt verstehe ich es wirklich.”
“Ihr meint Oine, ihr habt ihn getötet. Seine Lehren waren an euch verschwendet.”
Der Kaiser stieß ein trockenes Lachen aus.
“Und trotzdem hat er mich bis zu seinem Tot nicht aufgegeben. Der Gesandte war ein besserer Mensch als wir beide zusammen. Aber vielleicht können wir zusammen einen halbwegs vernünftigen Oine abgeben.”
Damit trat er noch einen Schritt auf sie zu und reichte ihr die Hand. Eola sah erneut, wie er in der Zitadelle auf Madiskat kniete, ebenfalls die Hand ausgestreckt und sie schlug die faltigen Finger beiseite.
"Beweist, dass ihr es ernst meint, rettet Kailan und seine Männer. Sie haben es nicht verdient, in diesen Tunneln zu sterben.”
“Selbst wenn ich wollte, kann ich es nicht. Meine Kräfte sind fort und selbst dein Glück wird sie nicht retten.”
“Ihr habt ihn erweckt. Warum habt ihr das getan, wenn ihr wusstet, dass Menschen dadurch leiden werden?”
Sie funkelte den Greis an, der bei jeden ihrer Worte in sich zusammen sank.
“Ihr habt euch nicht verändert. Ihr seid immer noch der Auslöser für Hass und Gewalt, Leid und Tod.”
Der Kaiser nickte.
“Aber wie ich bereits sagte, Tod und Leid gehören genauso zu dieser Welt. Ich habe den Alb nicht erschaffen, nur geweckt und es war nicht meine Absicht, dass Menschen sterben.”
“Wie soll ich euch das glauben, nach allem was ihr getan habt?”
“Als die Stämme aus den Bergen die Hügelländer überfielen, haben sie diesen Grabhügel geschändet. Sie wollten ihre Peiniger leiden sehen und es gelang ihnen auch. Sie haben diese Tunnel gegraben, die Toten ausgegraben und unter den freien Himmel gezerrt. Ein Sakrileg, das die Stämme der Hügelländer blind werden ließ. Sie schlugen zurück und am Ende blieb kaum einer von ihnen am Leben. Einer ihrer Schamanen schuf den Alb und er wütete unter ihnen allen, ohne einen Unterschied zu machen. Ich konnte nicht länger nur zuschauen und schickte einen meiner Magier zusammen mit einem Bataillon Nebelkrieger. Er versiegelte den Alb in den Grabkammern und ich ließ die Leichen hier in den Tunneln begraben. Dann habe ich die Tunnel versiegeln lassen, um ihnen Frieden zu schenken.”
“Soll mich das überzeugen?”
“Meine Nebel hatten erst dafür gesorgt, dass es so weit gekommen ist. Es war meine Pflicht den Toten zurückzugeben, was sie im Leben verloren hatten.”
“Es war eure Schuld, dass sie überhaupt gestorben sind. Eure Taten sind heuchlerisch, der Versuch eines gebrochenen Mannes, sein Gewissen zu erleichtern. Mehr nicht.”
“Über ein Jahrhundert ruhten die Toten in Frieden, aber jemand hat ihre Ruhe gestört bevor ich mich hier unten versteckt habe. Ich habe den Alb erweckt, um ihn hervorzulocken, dafür büßen zu lassen, dass er zunichte gemacht hat, was ich einst vollbracht hatte.”
Eola stieß Luft durch die Nase aus und zog eine Augenbraue hoch.
“Das ist ein wahrlich kleinlicher Grund.”
Der Kaiser nickte. “Vermutlich, aber ich bin auch nur ein Mensch, jetzt mehr denn je zuvor.”
“Wenn ihr mir helfen wollt, rettet die Männern, die mit mir hier eingedrungen sind. Dann wies ich, das ihr wirklich auf meiner Seite seid”
“Als wenn das ausreichen würde, dass ihr mir vertraut. Aber gut.” Der Kaiser seufzte. “Es gibt nur eine Möglichkeit, einen Alb zu versiegeln. Man muss ihn zehn Meter unter der Erde begraben. Die Tunnel unter dem Ahnenfels sind tief genug. Wenn wir es schaffen, sie zum Einsturz zu bringen, werden sie den Alb erneut begraben, so wie ich es einst getan habe. Aber es wird nicht einfach, wir müssen ihn an eine Stelle locken, die tief genug ist.”
Eola nickte. "Und wie bringen wir die Tunnel zum Einsturz?”
“Lasst das meine Sorge sein. Ihr müsst ihn anlocken. Meint ihr, dass ihr das schafft?”
Eola kaute auf ihrer Unterlippe. Wie sollte sie das anstellen?
“Ein Alb hat drei Augen, eins blickt in die Zukunft, eins in die Vergangenheit und eins sieht das Hier und Jetzt. Allerdings haben sie auch eine Schwachstelle.”
Der Kaiser erklärte ihr, was diese Schwachstelle war, doch es gab ihr nur wenig Zuversicht. Sie würde sich auf ihr Glück verlassen müssen und wenn Kailan, Sellen, Taub und Pollen nicht schon tot waren, brauchte sie auch ihre Hilfe. Doch Sie würde ihr Glück nicht beschützen.
~
Die Erde bebte, die Krallen des Alb scharrten hinter ihnen über den Fels und sein Brüllen erfüllte die Gänge. Seine Schulter pochte schmerzhaft, doch Kailan biss die Zähne zusammen und rannte weiter. Dann war plötzlich Fackelschein vor ihnen im Gang und als sie um die nächste Kreuzung bogen, standen sie den Gardisten des Königs gegenüber. Lord Fremm zog sein Schwert, dann runzelte er die Stirn.
“Formation!”, brüllte er über die Schreie des Nachtalb hinweg, doch der Gang war zu eng und die Männer erstarrten, als sie das Ungetüm sahen. Kailan fuhr herum und dann trat der Alb aus den Schatten. Seine Glieder waren länger als die eines Menschen, dennoch erinnerte seine Statur entfernt an einen. Die schwarze, ledrige Haut, die im Schein der Fackeln glänzte, war von feinen Rissen durchzogen, aus denen rotes Licht drang. Dann öffnete das Wesen das Maul und auch aus dem mit spitzen Zahnreihen besetzten Schlund drang ein rotes Leuchten. Der Alb ging gebückt, um in den Tunnel zu passen, die Krallen, so lang wie Dolche, kratzen schrill über die Wände und schlugen Funken. Der Kopf erinnerte an den einer Fledermaus, mit spitzen Ohren und einer glänzenden Schnauze. Seine drei Augen, lagen nicht nebeneinander, sondern waren wie zufällig in seinem Gesicht verteilt, wenn man es denn Gesicht nennen konnte. Ein Auge war schwarz, das zweite grün und das dritte leuchtete rot. Kailan und seine Männer waren zwischen den Gardisten und dem Ungeheuer gefangen und er brüllte den Männern zu, dass sie fliehen sollten. Doch Lord Fremm machte keine Anstalten, umzukehren.
“Wir weichen keinen Schritt”, wies er seine Männer an. “Es darf diese Tunnel nicht lebend verlassen.”
Ehrenhafter Tor, dachte Kailan. Der Alb blinzelte kurz und griff an. Kailan warf sich zur Seite und krachte mit der verletzten Schulter gegen die Wand. Vor Schmerz wurde ihm beinahe schwarz vor Augen. Er ging zu Boden und rollte sich auf den Rücken. Der kahle Bauch des Alb war direkt über ihm, doch er war wie gelähmt, bekam kaum Luft und dann sirrten die Krallen des Ungeheuers über ihn hinweg. Taub ging auf ein Knie und hielt sich den Bauch, Blut sprudelte aus ihm heraus. Die Gardisten schrien wild durcheinander. Die Tunnel waren viel zu klein. Sie alle warteten wie Vieh im Gitter auf dem Weg zur Schlachtbank. Doch Fremm wich nicht zurück und brüllte Befehle. Pollen schwang das Schwert, doch der Alb fing es in der Luft ab und Metallsplitter flogen in alle Richtungen davon. Einer davon traf Sellen am Kopf. Er schrie und kippte zur Seite. Endlich bekam Kailan wieder etwas Luft in die Lungen. Ein Gardist stürmte an ihm vorbei, Blut spritzte auf die Wände und traf Kailan im Gesicht. Dann taumelte der Ritter zurück und sah erstaunt auf seine Arme hinunter. Sie waren sauber am Ellbogen abgetrennt worden und er schrie als das Blut aus den Stümpfen spritze. Dann biss der Alb ihm in den Nacken, warf den Kopf zur Decke und der Körper des Gardisten klatschte wie eine Puppe dagegen. Der Alb ließ ihn los und der leblose Körper begrub Kailan unter sich. Pollen ging als nächstes nieder und die ersten Gardisten nahmen Reißaus. Fremm brüllte immer noch Befehle, doch auch sein Selbstbewusstsein schwand. Kailan blieb reglos liegen. Er konnte sich zwar langsam wieder bewegen, aber seine beste Chance zu überleben war es, liegen zu bleiben, dem Alb keinen Grund zu geben, ihn anzugreifen. Solange es sich bewegende, fliehende Ziele gab, würde er Kailan vielleicht ignorieren. Manch einer hatte ihn in diesem Moment vielleicht einen Feigling geschimpft, aber er würde keinen Kampf schlagen, der sinnlos war. Fremm gelang es tatsächlich den nächsten Angriff des Alb zu parieren, doch sein Schwert splitterte wie das von Pollen und mit den Überresten davon hatte er nicht genug Reichweite. Die Arme des Alb hingegen waren über einen Meter lang und schnellten tödlich auf den Lord zu. Die Krallen schlossen sich um Fremms Hals, dann schrie der Alb. Lord Fremm hatte es geschafft, die Überreste seines Schwertes von unten durch das Handgelenk des Monsters zu stoßen und rotes Licht strömte aus der Wunde. Dann drückte der Alb zu und Fremms Kopf ploppte von seinem Körper wie der Korken aus einer Flasche. Der Nachtalb ließ die zuckende Leiche fallen und setzte den übrigen Gardisten nach. Er verschwand im Dunklen, wobei ein weiteres Beben durch die Tunnel ging, als es beim Spurt um die Kurve gegen die Wand rannte, sich davon abstieß und dem nächsten Gardist in den Rücken sprang. Doch Kailan hörte es nur noch und rollte jetzt stöhnend die Leiche des Gardisten von ihm herunter. Dabei sandte seine Schulter immer noch Schmerzen durch seine Wirbelsäule, das Adrenalin ließ ihn jedoch in den Hintergrund rücken. Er kam auf ein Knie und stolperte zu Sellen hinüber. Der Junge lag stöhnend an die Höhlenwand gelehnt, seine rechte Gesichtshälfte war blutüberströmt, doch er lebte. Um Pollen und Taub sah es schlecht aus. Der Bastard hatte eine tiefe Wunde am Hals und als sein Schwert in Einzelteilen zersprengt worden war, musste es ihm die Hand zerfetzt haben. Taub lag auf der Seite und als Kailan ihn vorsichtig umdrehte, starrten seine Augen leblos zur Decke. Kailan biss die Zähne zusammen, aber er musste jetzt einen kühlen Kopf bewahren. Der Ausgang war versperrt, ihnen blieb nur die Flucht tiefer in die Tunnel. Der ganze Kampf hatte nur wenige Sekunden gedauert und die Schreie, die von fern erklangen, verstummten alsbald. Der Albtraum würde gleich zurückkehren und beenden, was er angefangen hatte, daran hatte Kailan keine Zweifel. Er riss das Wams des Lord Fremm in Streifen und wickelte es grob um Sellens Kopf, dann wollte er sich Pollen zuwenden. Doch der Krieger hatte sich die Hand auf den Hals gepresst und hustete Blut. Kailan erkannte, das es bereits zu spät war. Er nahm die Hand des Kriegers in seine und mit einem beinahe irren Lächeln auf den Lippen tat der Bastard seinen letzten Atemzug. Kailan schloss kurz die Augen, dann hatte er sich wieder unter Kontrolle und legte Pollens Hand auf seiner Brust ab.
“Kannst du laufen, Junge?"
Stellen nickte, aber er war beunruhigend blass und Kailan vermutete, dass es nicht nur am Blutverlust lag. Es war der erste Kampf des Jungen gewesen, es grenzte an ein Wunder, das er sich noch nicht übergeben hatte. Sellen zitterte zwar stark, aber er war noch nicht zusammengebrochen oder in Panik geraten, was beachtlich war.
“Kailan… sie sind alle tot.”
“Ich weiß, Junge. Aber du musst dich zusammenreißen, sonst sind wir es auch bald.” Sellen wischte sich das Blut vom Gesicht und wandte sich von den Leichen ab. Kailan hob eine der Fackeln auf, die einer der Gardisten fallen gelassen hatte, dann ging er voran in die Richtung aus der sie gekommen waren. Wenn sie Glück hatten, gab es einen Weg hier heraus. Irgendwie war der Dämmerfuchs des Mädchens von hier in den Westturm gelangt. Es war ein dünnes Halm an das er sich klammerte. Vermutlich war dieser Zugang zur Burg nicht groß genug für einen Menschen. Aber etwas besseres fiel ihm nicht ein. Also humpelte er an die Wand gestützt weiter. Der Junge direkt hinter ihm schwieg und Kailan warf ihm einen einschätzenden Blick zu.
“Junge, rede mit mir.”
“Was?”
“Reden hält dich davon ab, zu viel darüber nachzudenken.”
Doch es gab noch einen zweiten Grund. Kailan musste sichergehen, dass er sich noch artikulieren konnte.
“Mir geht's gut, Kailan."
“Lüg mich nicht an. Niemandem geht es gut, nachdem was wir grad erlebt haben”
Sie kamen an eine Biegung und Kailan ließ Taubs letzte Markierung links hinter sich, welche zu den Grabkammern führte.
“Das meinte ich auch nicht. Meinem Kopf geht es gut. Nur eine Platzwunde.”
“Na gut. Aber sobald dir schwindelig wird oder schlecht, sagst du mir sofort Bescheid, verstanden?”
Der Junge nickte und Kailan wandte sich wieder nach vorne. Der Gang machte eine weitere Biegung und Kailan hielt inne. Dann fluchte er leise und lief schneller. Der Alb war wieder in den Tunneln. Sein Jaulen hallte durch die Gänge hinter ihnen und Krallen kratzen über Stein.
Stellen blieb stehen und Kailan lief zu ihm zurück.
“Er kommt wieder Kailan. Ich… wir können ihm nicht entkommen.”
“Reiß dich zusammen, Junge.Wir müssen in Bewegung bleiben. Ich werde hier unten nicht sterben und du auch nicht, ich lass es nicht zu.”
Doch Sellen schüttelte den Kopf und jetzt liefen ihm Tränen über die Wangen. Kailan verpasste ihm eine Ohrfeige, da ihm nichts Besseres mehr einfiel und bereute es sofort. Doch Sellen stolpert weiter und Kailan folgte ihm. Sie kamen nur langsam voran und bei der nächsten Kreuzung wusste Kailan nicht, ob sie noch in die richtige Richtung unterwegs waren. Der Alb schien jedoch auch Probleme zu haben, ihren Geruch auszumachen, denn abgesehen von einem gelegentlichen Jaulen und Kratzen war es hinter ihnen still geworden. Sie bogen um eine Ecke und endlich fiel vor ihnen Licht in den Gang. Es kam von oben, ein Gitter das in die Decke eingelassen war. Kailan sah hinauf und zog das Schwert. Er stieß von unten mit der Klinge gegen die Gitterstäbe, doch sie rührten sich keinen Millimeter. Kailan fluchte und versucht es erneut. Laut hallte das Klirren der Waffe durch die Tunnel und Sellen griff nach Kailans Arm.
“Lasst das, so findet er uns!”
Panik stand in Sellens Augen. Kailan funkelte ihn an, aber er hatte Recht. Krallen kratzen über Stein, dann brüllte der Alb und sie fuhren herum. Das Monster bog um die Ecke und sah sie mit seinem drei Augen an. Dann sprintete es auf Kailan zu. Er ging in eine defensive Schrittposition doch das Schwert zitterte in seiner Hand. Der Alb war bei ihnen, bevor er blinzeln konnte. Er machte nicht den Fehler ihm parieren zu wollen sondern wich unter der Kralle durch und schwang das Schwert nach dem Arm der Bestie. Doch er war zu langsam, seine Schulter machte ihm zu schaffen und die Krallen des Alb fuhr tief in sein Fleisch, verfälschte seinen Hieb und er taumelte gegen die Felswand. Sellen hatte ebenfalls das Schwert gezogen, doch der Alb schien Kailan als größere Bedrohung einzustufen. Er war jetzt direkt über Kailan und ließ beide krallenbesetzten Hände auf ihn herab fahren. Er konnte nicht beiden ausweichen und als er parieren wollte, bekam er das Schwert nicht hoch genug. So würde es also zu Ende gehen, dachte er. Im Kampf mit einem Alb zerfetzt, kein unbedingt schlechter Abgang für jemanden wie ihn. Doch wider Erwarten zerfetzten ihn keine scharfen Krallen.
“Hey! Missgestalt! Lass ihn in Ruhe!”
Die Stimme des Mädchen zitterte nicht einmal. Entweder war sie sehr dumm oder sehr mutig. Doch der Alb war abgelenkt. Kailan riss sein Schwert hoch und stieß zu. Das Monster heulte auf. Er hatte auf das mittlere Auge gezielt und sogar getroffen. Das musste das Glück dieses verfluchten Mädchen sein. Der Alb taumelte gegen die Tunnelwand und Kailan riss Sellen mit sich auf das Mädchen zu. Sein Schwert steckte immer noch im Auge des Monsters und der Alb versuchte, ohne etwas sehen zu können, wie es schien, die Waffe aus der Wunde zu ziehen. Dabei torkelte er von Wand zu Wand und schrie, während Steine von der Decke rieselten.
“Hast du auch einen Plan?”, fragte Kailan, als sie Eola erreicht hatten.
“Sowas in die Richtung.”
“Gut.”
“Wir müssen ihn zur Grabkammer locken.”
Kailan nickte, dann hatte der Alb es geschafft, die Klinge an der Höhlenwand abzustreifen und seine zwei übrigen Augen wandten sich ihnen zu. Kailans Schulter pochte unangenehm und die Wunde an seinem Arm war tief, doch er schleppte sich weiter. Eola stützte den Jungen, der Schwierigkeiten hatte, das Gleichgewicht zu halten. Das war gar nicht gut. Im Schein der Fackel erkannte Kailan, dass feine rote Äderchen sein rechtes Auge durchzogen.
“Nach rechts”, wies Kailan sie an und Eola ging mit Sellen vorran.
“Hey. Hier lang Dreiauge!”
Der Alb zuckte mit dem Kopf, als wäre er kurz irritiert, dann war der Moment vorbei und in rasantem Tempo kam er ihnen hinterher. Sie waren zu langsam, das Ungeheuer würde sie eingeholt haben, bevor sie die Grabkammern erreichten. Eola sah es ebenfalls und ließ Sellen an der Höhlenwand hinab sinken. Dann zog sie Kailans Dolch von seinem Gürtel und bevor er reagieren konnte, stellte sie sich zwischen sie und das Monster.
“Ich lenke ihn ab. Aber ihr müsst zu den Grabkammern, sonst wird er dort nicht hingehen und ich kann euch nicht beschützen.”
Kailan schnaubte. So weit war es schon gekommen, dass er sich von diesem Gör beschützen lassen musste.
“Das ist doch Irrsinn, er wird dich zerfetzen Mädchen.”
Sie schüttelte den Kopf.
“Er kann mich nicht sehen, sein Auge…”
Kailan runzelte die Stirn, hatte jedoch keine Zeit, nachzufragen. Der Alb war nur noch wenige Meter entfernt. Das Mädchen rannte auf ihn zu, doch sein Blick blieb auf Kailan und Sellen gerichtet. Er schien Eola zu hören, aber nicht zu sehen, denn er legte erneut den Kopf schief und blieb kurz stehen. Die Kleine rammte ihm den Dolch ins Bein und er jaulte auf, hieb mit der Klaue nach ihr. Sie konnte gerade so ausweichen.
“Macht schon, bewegt euch!”, rief sie Kailan zu und er setzte sich mit Sellens Arme über der verwundeten Schulter wieder in Bewegung. Der Alb konnte die Kleine tatsächlich nicht sehen. Kailan musste das Auge getroffen haben, dass im Hier und Jetzt sah. Aber warum konnte der Alb nicht sehen, was kommen würde? Waren die Legende falsch? Die Geschichten bloß Lügen? Nein, hier war etwas anderes im Spiel, der Alb sah sie einfach nicht in der Zukunft und auch nicht in der Vergangenheit. Deshalb hatte Kailans Angriff getroffen und es war auch der Grund, warum Eola ihn nicht zu den Grabkammern locken konnte. Er würde nur ihm und Sellen folgen, nicht ihr. Kailan lief weiter und das Mädchen folgte. Der Alb raste. Die Krallen schaben wild über den Boden und Kailan spürte seinen Atem in seinem Nacken. Er bog um die Ecke, sprang über das am Boden liegende Gitter und zog Sellen mit sich. Seine Beine zitterten, sein Atem ging Stoßweise und das Adrenalin wich langsam aus seinem Körper. Zurück blieb eine Menge Schmerz und Kailan ging hinter der nächsten Ecke in Deckung. Genau genommen sackte er einfach gegen die Wand. Die Bestie kam in die Grabkammern gesprungen und kam schlitternd an einer der Säulen zum Stehen. Sellen kauerte neben ihm, das Mädchen hatte sich hinter der anderen Ecke in Sicherheit gebracht. Eola deutete mit dem Finger auf die Säulen und den kleinen, tiefliegenden Platz dahinter, der von den Säulen eingeschlossen wurde. Kailan nickte und raffte sich ein letztes Mal auf. Schweiß und Blut lief ihm über den Körper, doch er zwang sich aufzustehen. Der Alb fasste Kailan ins Auge und Eola trat neben ihn.
“Er sieht mich nicht. Mein Glück macht mich für seinen Visionen unsichtbar. Außerdem hat es dafür gesorgt, dass ihr das richtige Auge getroffen habt.”
Kailan nickte.
“Das habe ich mir schon gedacht.”
“Wenn wir zusammen arbeiten, sollten wir es schaffen.”
“Gebt mir den Dolch Mädchen.”
Sie warf ihm einen kurzen Blick zu. Der Alb schnüffelte und sah sich um. Dass er Eola nicht sah, aber hörte, schien ihn zu verunsichern.
“Ihr könnt doch kaum stehen.“
“Eola!”, sagte Kailan streng und sie reichte ihm die Waffe. Kailan lief auf den Alb zu. Er sah ihn kommen, tat jedoch nichts. Was auch immer Eola vorhatte, verschleierte seine Sicht auf das, was kam. Zumindest war das Kailans Vermutung. Doch dann brüllte der Alb und griff doch noch an. Kailan wich zur Seite aus und war jetzt neben dem Monster. Eola rannte direkt auf ihn zu und rollte sich unter seinen Beinen hindurch ab. Kailan hob anerkennend die Braue. Es war ja doch etwas von seinem Training hängen geblieben. Dann sprang das Mädchen die wenigen Stufen innerhalb der Säulen hinunter und wedelte mit der Fackel, die sie in der Hand hatte, sodass die Flammen fauchten.
“Hier bin ich, du hässliche Riesenfledermaus!”, rief sie und der Alb fuhr zu ihr herum. Er machte einen Satz die Treppen hinunter und war bei Eola, bevor sie sich umdrehen und davon laufen konnte. Kailan nahm die Spitze des Dolches zwischen Daumen und Zeigefinger, zielte und warf. Er traf den Alb in die rechte Schulter, dabei hatte er auf den Rücken gezielt, wo er das Herz des Ungeheuers vermutete. Aber die Verletzung seiner Schulter ließ ihn im entscheidenden Moment zusammenzucken und er taumelte gegen eine der Säulen. Der Alb schrie und bäumte sich auf. Kailan ging an der Säule zu Boden. Eola sprang die Treppen auf der anderen Seite wieder hinauf und drehte sich zum Alb um.
“Jetzt”, rief sie und eine gebeugte Gestalt trat neben ihr aus den Schatten. Eola hielt dem Greis ihre Fackel entgegen und er entzündete eine zweite daran. Der Alb fauchte und setzte zum Sprung an, doch das Mädchen warf die Fackel und der Greis, es musste der Kaiser sein, tat es ihr gleich. Doch sie zielten nicht etwa auf das Ungeheuer, sondern auf etwas über ihm.. Das Feuer streifte die Decke und erst geschah nichts. Klappernd fiel eine der Fackeln wieder zu Boden, die andere hatte sich im Stein über dem Alb verkantet und Kailan runzelte die Stirn. Dann züngelten die Flammen in einen der Risse im, Gestein über ihnen und es zischte laut, bevor die Fackeln erlosch. Der Alb sah zur Decke, dann rumpelte es im Stein über ihm und er sprang. Im selben Augenblick knackte es erst, dann zerriss ein Knall die Stille und Felsbrocken lösten sich aus der Decke. Irgendwo im Gestein über ihnen musste sich Gaß angesammelt haben und die Fackeln hatten es entzündet.
“Lauft”, schrie Eola und Kailan drehte sich um. Er sah nicht mehr, was geschah, konnte es sich aber hören. Sellen war bereits auf dem Weg zum Ausgang und Kailan lief mit ihm zum Gitter dahinter. Es krachte und rumpelte so laut, dass Kailan meinte, seine Trommelfelle müssten gleich platzen. Als er sich schließlich wieder umdrehte, erfüllten Staubwolken den Gang. Im Dunkeln erkannte er, dass die ganze Grabkammer eingestürzt war. Er sank gegen die Wand des Tunnels hinter ihm und jetzt schlug der Schmerz und die Erschöpfung über ihm zusammen. Kailan wollte einfach nur die Augen schließen und für immer schlafen, aber er wusste, dass er das nicht durfte. Er hatte zu viel Blut verloren und wenn er jetzt einschlief, würde er nie wieder aufwachen. Also raffte er sich auf und drückte sich mit seiner letzten Kraft an der Wand hoch. Sellen lag neben ihm auf dem Boden und hatte den Kopf gegen die Felswand gelehnt. Kailan nahm die Fackel auf, die er an dieser Stelle ausgetreten hatte und entzündete sie an einem Holz, das er in der Tasche fand. Dann wandte er sich Sellen zu.
“Junge! Du kannst schlafen, wenn wir aus diesen Tunneln entkommen sind.”
Der Junge blinzelte und hob schwach den Kopf. Ein einsames Lächeln umspielte seine Lippen.
“Wir haben es geschafft, Kailan. Wir haben es tatsächlich …”
Dann sackte sein Kopf auf die Brust und Kailan stöhnte. Er hatte nicht mehr die Kraft zu fluchen. Zu was seine letzten Reserven noch alles in der Lage waren, dachte er, als er Sellen aufhob und aus den Tunneln trug. Er taumelte, musste sich einige Male an die Wand lehnen, um zu verschnaufen, doch schließlich hatte er es geschafft. Licht schien ihm entgegen. Das helle Loch lag nur wenige Meter vor ihm. Eola kam Kailan entgegen, hinter ihr die Umrisse eines gebeugten Greis. Dann kippte die Welt zur Seite.
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