Die Zauberin
Das Glückskind: Gentilis
Kapitel 2: Unglück im Glück.
Eola machte einen Ausfallschritt, wollte angreifen, sah die Finte zu spät und rannte in Kailans Übungsschwert.
Sie fluchte und rieb sich den schmerzenden Ellenbogen.
“Du bist nicht bei der Sache”, ermahnte der Gardist sie und er hatte Recht.
In Gedanken war sie wieder bei Bajka, die sie seit einer Woche nur aus der Entfernung sah. Ihr Glück ließ sich verdammt viel Zeit sich etwas einfallen zu lassen und es zehrte an ihren Nerven. Statt mit blöden Holzstöcken gegen Gardisten zu kämpfen, hätte sie viel lieber etwas über Magie gelernt. Aber so war das nun einmal. Ihr Glück vermochte nicht das Unmögliche und Bajka war so beschäftigt, dass es schon an ein Wunder grenzen musste, wenn sie denn jemals auf Eola aufmerksam wurde.
“Wieder auf Anfang”, wies Kailan sie an und sie ging in den Stand, den er ihr beigebracht hatte. Wenn sie schon wartete, dann wollte sie ihre Zeit wenigstens mit etwas Sinnvollem verbringen. Lord Kamms Männer hatten sie aufgenommen, nachdem sie offenbart hatten, dass sie zu gar keinem der Lager gehörte die sich in und um der Stadt angesiedelt hatten. Lord Eolin zog immer seine Truppen zusammen und der Frühling war bereits einem warmen Vorsommer gewichen.
“Also Eola? Ist euer Vater einer der Lords oder nur ein Soldat im Gefolge des Königs?”, hatte Lord Kamm sie gefragt, als er sie nach der Versammlung im Thronsaal in sein Zelt gerufen hatte.
“Keins von beidem. Ich bin alleine unterwegs.”
Lord Kamm hatte kurz gebraucht, das zu verdauen. Dann hätte er gefragt:
“Ganz alleine? Wo sind denn deine Eltern?”
Eola hatte mit den Schulter gezuckt und geantwortet:
“Meine Mutter ist tot und mein Vater wollte bald wieder da sein. Das war vor sieben Jahren.”
Lord Kamm hatte genickt und sie dann eingeladen, bei ihnen im Lager zu bleiben. Er hatte sie ermahnt, nicht zu erwähnen, dass sie ein Mädchen war und dann Kailan angewiesen ein Auge auf sie zu halten.
Seitdem trainierte sie tagsüber mit dem Gardisten oder einem der anderen Männer von Lord Kamm und trieb sich Abends in den Wirtshäusern der Stadt herum. Doch bald schon sprach sich herum, dass sie unverschämtes Glück hatte und niemand mehr wollte sich im Glücksspiel gegen sie versuchen. So war es immer, deshalb hielt sie es nie lange an einem Ort aus. Die Leute redeten und irgendwann ging ihnen auf, das etwas mit ihr nicht stimmen konnte. Niemand hatte so viel Glück und sie hatten ja Recht. Es war nicht sonderlich fair sie auszunehmen, erst Recht, da ihr Geld an anderer Stelle dringender benötigt wurde. Nur Sellen spielte noch mit ihr. Sie hatte irgendwann auf einen Einsatz verzichtet, und so wie er sie ansah, hielt sie es nie lange mit ihm aus.
Und so hatte sie angefangen, immer mehr Teile der Stadt zu erkunden und sich sogar bis in die tieferen Hügel jenseits des Ärenfels gewagt.
Im Übungskampf mit Kailan hatte sie zudem etwas interessantes festgestellt. Ihr Glück bewahrte sie nicht davor von ihm getroffen zu werden. Vielleicht lag es daran, dass er sie nicht ernsthaft verletzen wollte, oder weil ihr Glück es für sinnvoll erachtet das sie tatsächlich etwas lernte und Kailan pflegte stets zu sagen: Nur aus Fehlern lernst du Kleine. Und er behielt Recht. Sie lernte zwar nicht schnell und der Schwertkampf machte ihr immer noch nicht sonderlich Spaß. Aber immerhin blieb sie fit und hatte einen Vorwand, sich in der Nähe der Burg aufzuhalten, wo die Soldaten des Königs trainierten. Auch Bauern und Knechte wurden ausgebildet. Das Heer des Kaisers war immer noch um beinahe siebzehntausend Mann stärker als das von König Eolin. Auch wenn man damit rechnen konnte, das sich bis zur Hauptstadt noch knapp fünftausend Männer anschlossen, würde es nicht ausreichen. Erst Recht wenn man von einer längeren Belagerung ausging. Die Hauptstadt war uneinnehmbar, so hieß es und so wie Eola es verstanden hatte setzte der Lord von Ärenfels alles auf die Magier der Akademie und seine eigenen Zauberin, die Lady von Veysgrad. Doch Eola konnte sich kaum vorstellen, dass ihre Zauberkraft ausreichte, um eine ganze Festung einzunehmen. Oine hatte sich zwar gegen ein gutes Dutzend Soldaten des Kaisers behaupten können, aber er war auch der legendäre Gesandte.
“Die Soldaten des Kaisers tragen Gaßperlit, es schützt sie gegen Zauberei”, hatte sie eines Abends Lord Kamm mitgeteilt und er hatte bloß genickt.
“Davon habe ich gehört. Es ist jedoch sehr wertvoll und schwer zu verarbeiten. Soweit ich weiß ist es lediglich seine persönliche Garde, die über solche Rüstungen verfügt.”
Trotzdem bestand diese aus beinah hundert Mann und laut Kamm gab es noch mehr Gaßperlit, das mit Sicherheit gerade zu Rüstungen verarbeitet wurde.
Auch ohne den Kaiser würden seine Oligarchen eine nicht zu unterschätzende Gefahr darstellen. Sie würden nicht zulassen das ein König aus dem Süden sie einfach überrannte. Kamm hatte Recht, als er behauptet hatte, wenn sie die Magier der Akademie nicht auf ihre Seite zögen, wären sie alle dem Untergang geweiht.
Eola konnte nur hoffen, dass die Zauberin ihr bis dahin genug beigebracht hatte, dass sie sich aus dem Staub machen konnte, bevor die Kämpfe begannen. Bis zur Hauptstadt war es ein Marsch von knapp drei Monaten.
Kailan setzte zum Angriff an und wieder parierte sie zu spät. Sie ließ den Stecken fallen und jaulte auf.
“Verflucht. Du bist einfach zu schnell.”
Kailan lächelte und trat einen Schritt zurück.
“Oder du bist zu langsam Kleine. Dein Glück hilft dir im Kampf nicht weiter. Du solltest auch ohne mich weiter üben. Was ist mit der Schrittfolge? Zeig sie mir.”
Eola schüttelt den Kopf.
“Ich hab genug für heute. Lass uns morgen weitermachen."
Kailan schnellte nach vorne und der Stecken traf sie auf die Stirn. Es war kein starker Schlag gewesen, trotzdem würde es einen Beule geben.
“Aua! Was zum…”
“Denkst du vielleicht, dein Gegner wird darauf Rücksicht nehmen, ob du Lust hast zu kämpfen?"
Eola verzog wütend die Stirn.
“Ich habe nicht vor, mit euch in diesen verdammten Krieg zu ziehen.”
Kailan rammte den Stecken vor sich in die weiche Erde und verschränkte die Arme.
“Und warum bist du dann hier Eola? Du hast es uns noch immer nicht verraten, obwohl Lord Kamm dich aufgenommen hat, ohne zu Fragen zu stellen. Du schläfst in unserem Lager, isst unsere Vorräte und ich vergeude meine Zeit sogar damit dich zu trainieren, obwohl du nicht kämpfen willst.”
“Soll ich euch bezahlen?”, warf ihm Eola entgegen und ballte die Fäuste.
“Du sollst dein Training verdammt noch Mal ernst nehmen, mehr verlangen ich doch gar nicht. Meinst du, du bekommst das hin?”
Eola seufzte, riss sich dann jedoch zusammen und nickte.
“Nagut. Aber nur weil du mich so lieb darum bittest.”
Kailan schenkte ihr ein kurzes Lächeln, dann zog er seinen Stecken aus der Erde und deutete auf den von Eola, der immer noch am Boden lag.
“Die Schrittfolge!”
Als sie den Übungsplatz verließ, wurde es bereits dunkel und sie hatte überall blaue Flecke. Sie wollte sich nur noch betrinken und dann ins Bett fallen. Die ersten Feuer wurden entzündet, als sie den weitläufigen Burghof durchquerten, um sich in Richtung der Stadt aufzumachen. Männer lachten und tranken und an einem niedrigen Tisch rollten ein paar Würfel über das Brett. Kurz blieb sie stehen, entschied sich dann jedoch dagegen und wollte weitergehen. Doch eine Stimme hielt sie zurück.
“Hey Junge, seid ihr nicht dieser Glückspilz, von dem alle reden?”
Der Mann war eindeutig betrunken und seufzend wandte sich Eola zu ihm um.
“Ich bin nicht in Stimmung.”
“Komm schon? Oder glaubst du, du wärst zu fein für den hohen Lord.”
Es klang zu spöttisch wie er das sagte und in Eola breitete sich etwas aus, dass sie lange nicht gespürt hatte. Ein Kribbeln, das sie stets durchströmte, wenn ihr Glück ihr einen Wink geben wollte. Außerdem packte sie der Stolz.
“Ach ja? Der hohe Lord fordert mich also zum Spiel?”, fragte sie ebenso spöttisch und das Grinsen des Mannes gab ihr den Rest.
Er trug wie Hessen das Grün der Graßlandlords, schien jedoch etwas jünger als der Vasall dem Bajka zurechtgewiesen hatte. Seine Wangen glühten vor Alkohol und Eola war sich sicher, dass er ein leichtes Ziel war.
Also ging sie zu ihnen hinüber und setzte sich.
“Was wird gespielt?”
“Drei hoch zwei Tief”, gab einer der Männer wieder.
Eola nickte, sie kannte das Spiel. Dabei wurde geblufft. Man gab an, wie viele Würfelzahlen lagen und was sie zeigten und hob den Becher erst, wenn alle eine Schätzung abgegeben hatte. Der, der am nächsten lag, gewann. Es war kein reines Glücksspiel, aber Eola hatte es genauso selten verloren wie jedes andere Würfelspiel.
Sie begannen zu spielen und bald schon war der hohe Lord um zehn Silber ärmer. Bald waren seine Männer arm und nur noch Eola und der Lord warfen. Bald schon stellt sich Eolas Glück allerdings als zu viel für den hohen Lord heraus, denn er wurde immer ungehaltener, setzte immer mehr Gold und war bald bei seinem letzten Ersparten, zumindest beurteilte Eola die skeptischen Blicke seiner Männer so.
Das Fass Ale ging zur Neige und ihr Gegenüber hatte bereits so viel davon intus, dass er sich zu einem besonders riskanten Spielzug hinreißen ließ.
“Wartet nur ab Bursche. Euer Glück muss auch mal enden.”
Eola schüttelt bloß traurig lächelnd den Kopf.
“So funktioniert das nicht. Bei jemand anderem vielleicht…”
“Ha!”, rief er und sagte drei Zahlen an, die viel zu hoch waren, um zu stimmen.
“Fünf Einsen”, sagte sie und war sich sicher, dass sie damit falsch lag, fünf Einsen wären ein Wunder.
Doch auch sie hatte bereits etwas von dem dunklen Ale getrunken und hatte Ihr Glück wohl unterschätzt, denn als der hohe Lord seinen Becher hob, lagen fünf Einsen auf dem Brett. Er blinzelte, sah erneut hin und blinzelte wieder. Scheinbar hatte er selbst nicht registriert, dass nur Einsen lagen oder er sah bereits doppelt.
Eola seufzte und wollte sich erheben, da sprang der Lord auf und riss mit wutverzerrtem Gesicht den Dolch vom Gürtel.
“Ihr betrügt! Soviel Glück ist Hexerei!”
Auch seine Männer waren nicht weniger perplex.
“Ihr seid ein Hexer Bursche, gebt es zu!”
Dabei fuchtelte er mit dem scharfen Eisen vor Eolas Gesicht und lief so rot an, das sie Angst hatte, er würde gleich explodieren.
“Passt auf damit, sonst tut ihr euch noch weh”, erwiderte sie und erhob sich.
Doch der hohe Lord schien sich Luft machen zu müssen.
“Ist das eine Drohung Junge? Was seid ihr? Ein Spion des Kaisers?”
Eola versuchte zurückzuweichen, doch stieß dabei beinahe an das heiße Eisen der Feuerschale hinter ihr. Sie wich zur Seite aus und kurz sah es so aus, als würde der Lord das Gleichgewicht verlieren. Er hielt sich gerade noch so am Tisch fest, stieß dabei jedoch den Becher um und seine Hand rutschte auf den Würfeln darunter weg. Mit einem dumpfen Geräusch schlug er auf dem Tisch auf und fiel zur Seite. Er kam auf ein Knie, doch etwas stimmte nicht. Im Dunkeln konnte sie erst nicht erkennen, was passiert war, doch dann frohr ihr das Blut in den Adern. Der Dolch des Mannes steckte bis zur Parierstange unterhalb seiner Kehle und Blut lief ihm über Brust und Arme. Ungläubig starrte er darauf hinab, dann gab er ein erstauntes Glucksen von sich und starb.
Sein Körper sackte schlaff zur Seite und Eole blinzelte irritiert. Dann ging alles sehr schnell. Die Männer des Lords sprangen auf und zwei waren bei ihr, bevor sie reagieren konnte. Die übrigen starrten perplex auf ihren Lord hinab.
“Fesselt sie.”
“Das war Mord!”, rief jemand.
“Hexenwerk”, jemand anderes.
Wind kam auf und die Feuer in den Schalen flackerten.
Dann schmeckte Eola Erde, als man sie auf den Boden drückte und sich raue Fesseln um ihre Arme und Beine legten.
In ihrem Schädel ratterte es. Was war gerade nur passiert? Ihr Glück sollte sie vor so etwas eigentlich bewahren. Wie konnte es nur sein, dass sie, ausgerechnet sie… Doch ihr Kopf spuckte einfach keine vernünftige Erklärung aus. Man trat ihr in die Seite, dann wurde sie auf die Beine gezerrt und über den Hof geschleift.
“Bringt sie vor den König!”, verlangte jemand.
“Tötet den Hexer”, forderten einige, doch jemand trat den Männern in den Weg, die sie in Richtung des Eingangs zur Burg zerrten.
“Was ist hier los?”
Sie erkannte Fremms Stimme und hob den Kopf.
“Hexenwerk, er hat den hohen Lord Geiz getötet. Ins eigene Messer, mit Hexenkraft. Wir haben es alle gesehen.”
Fremm sah auf Eola hinab und rieb sich müde über die Augen.
“Ich versteh. Sicher, dass er nicht einfach zu betrunken war…”
“Seht den Wind, der geht!”
“Wie bei der Zauberin. Er ist mit den Geistern im Bunde”
Fremm seufzte und nickte dann.
“Bringe ihn in den Kerker, der König wird sich morgen mit ihm befassen.”
Langsam kam Eola wieder zu sich. Es gab nur eine logische Erklärung für all das. Ihr Glück hatte sie verlassen. Es lief ihr eiskalt den Rücken hinunter. So ging es also zu Ende. Als Verräter hingerichtet. Vielleicht hatte der hohe Lord Recht behalten. Irgendwann musste jedem einmal das Glück ausgehen, selbst ihr. Vielleicht war sie zu weit von der Küste von Kanaahn entfernt.
Solange sie an Wunder glaubte, blieb seine Macht ihr bestehen.
Sie meinte nicht, dass sie aufgehört hatte zu glauben, aber sie war kurz davor.
Das wurde ihr schmerzhaft bewusst, als man sie die Treppe hinab schleifte, durch den feuchten, schimmlig riechenden Gang, bis in die kleine nackte Zelle. Kalte Eisen legten sich um ihre Hände und Füße und dann war sie allein.
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