Die Zauberin
Das Glückskind; Gentilis
Kapitel 3: Glück im Unglück
Eola schlief kaum, ihr war kalt und es gab nur feuchtes Stroh, nicht einmal eine vernünftige Pritsche. Sie verfluchte sich, hätte sich nie hinreißen lassen dürfen zu Spielen und begann irgendwann unruhig in der kleinen Zelle umherzulaufen. Soweit es die schweren Ketten zuließen. Schließlich fiel sie an die Wand gelehnt, in einen leichten Schlaf voller Schatten. Doch die Bilder verschwammen sofort, als sie wieder erwachte. Das Letzte, das ihr noch im Gedächtnis blieb, war der krumme Schatten, der sie verfolgt hatte, auf einen knorrigen Stab gestützt. Als wäre er direkt aus ihrem Traum gestiegen, trat er ins Licht der einsamen Fackel, die schräg gegenüber ihrer Zellentür in einer eisernen Verankerung brannte.
Das faltige Gesicht wirkte im Schatten noch älter und sein Stock pochte sachte auf den Boden, als er sich dem Gitter näherte, hallte in tausend kleinen Echos durch die leeren Gänge unter der Burg. Langsam rappelte sich Eola auf und trat argwöhnisch ans Gitter.
“Ihr! Was wollt ihr? Euch an meinem Unglück laben?”
Auf den Zügen des Kaisers zeigte sich ein trauriges Lächeln.
“Mitnichten Kind. Ich will euch helfen.”
Eola schnaubte.
“Warum solltet ihr das tun? Und warum sollte ich euch vertrauen?”
Der Kaiser rümpfte die knochige Nase und rieb sich das Knie.
“Mein Körper versagt, ich hatte vergessen, wie das ist, den Einflüssen der Zeit ausgesetzt zu sein, schrecklich.”
Eola lachte trocken auf.
“Eure Zeit ist abgelaufen, euer Reich zerfällt und ihr werdet sterben, einsam und verbittert. Ich habe euch nichts zu sagen Greis.”
Er nickte bloß, doch seine blauen Augen musterten sie nachdenklich.
“Mein Körper mag versagen, aber mein Verstand ist noch allzu scharf. Ich weiß warum du hier bist, Glückskind. Ich will euch warnen. Bajka ist nicht die, für die ihr sie haltet. Sie wird euch nicht ausbilden. Denn Bajka tut nichts, das ihr selbst keinen Nutzen bringt.”
Eola schwieg und wandte den Blick ab, sie durfte ihm nicht zuhören. Er wollte sie nur verunsichern.
“Warum seid ihr wirklich hier? Auf Ärenfels? Wollt ihr den Feind ausspionieren?”
Der Kaiser zuckte mit den Schultern.
“Der junge König mag gerne versuchen, mein Reich zu stürzen, er wird versagen, wie so viele vor ihm.”
“Euer Reich zerfällt, euer Nebel schwindet.”
“Das mag stimmen, aber die Macht meiner Oligarchen bleibt ungebrochen, sie werden nicht zulassen, dass ihr Reich einfach so von einem König aus dem Süden überrannt wird.
Mein Rat, Mädchen: Flieht von hier, so lange ihr noch könnt.”
Sie warf entnervt die Arme hoch.
“Nun selbst, wenn ich wollte. Ich sitze hier fest.”
Der Kaiser lächelte und lehnte sich auf seinem Stock leicht vor.
“Ihr seid so frei wie eure Vorstellung reicht Eola. Niemand kann sich euch in den Weg stellen. Ihr verfügt über die Macht eines Drachen. Die einzige Gefahr für mein Reich seid ihr, Glückskind, deshalb folge ich euch. Früher oder später müsst ihr euch dem Schicksaal stellen, dass der rote Riese euch auferlegt hat.”
“Mein Schicksaal ist ganz allein mein eigenes", schnaubte sie. Das unergründliche Lächeln des verschrumpelten Kaisers ging ihr allmählich gehörig auf die Nerven.
“Ihr macht mir keine Angst. Ich werde Bajka’s Schülerin und dann zur mächtigsten Zauberin die der Kontinent je gesehen hat.”
Das Lächeln des Kaisers wurde noch etwas breiter.
“Ich zähle darauf, Kind des Kanaahn.”
Damit wandte er sich zum Gehen und Eola ballte die Fäuste.
“Hey!”, rief sie ihm nach. “Wolltet ihr mir nicht helfen?”
Er drehte sich noch einmal um und legte leicht den Kopf schief.
“Das habe ich doch bereits. Wenn ich euch noch einen Rat geben soll: Traut der Zauberin nicht, sie ist eine finstere Legende, eine Geschichte ohne Trost oder ein glückliches Ende.
Merkt euch meine Worte, Glückskind. Denn Geschichten verschlingen Helden … Immer.”
Dann hatten die Schatten im Gang ihn verschluckt.
…
Sie ließen sich verdammt viel Zeit bis sie Eola holten. Mit den wenigen Sonnenstrahlen, die sie hier unten erreichten, erwachten in den Zellen links und rechts von ihr die Gefangenen.
Eola hielt sich vom Gitter fern, sie hatte keine große Lust, sich mit den schreienden und jammernden Gestalten, die mit ihr im Kerker saßen, auseinanderzusetzen.
Schließlich erfüllten Schritte den Gang und jetzt trat sie doch vor ans Gitter und versuchte zu erkennen, wer kam. Die anderen Gefangenen hatten scheinbar dieselbe Idee, denn ein dreckiges Gesicht mit Narben und verfilzten Haaren blickte ihr von rechts entgegen und grinste als es sie sah.
“Uuhui, Frischfleisch.”
Sein Grinsen wurde noch breiter und Eola funkelte ihn an.
Dann hatten die Soldaten ihre Zelle erreicht und der Wachmann schloss ihre Zellentür auf.
“Zurück an die Wand!”, befahl er und Eola folgte seinem Befehl.
Hinter ihm stand, begleitet von zwei Wachen, Lord Kamm und nickte ihr kurz zu.
“Der Lord hat sich für euch verbürgt. Ihr dürft die Burg jedoch nicht verlassen, bis der König Zeit hat, sich mit euch zu befassen.”
Eola nickte und warf dem Lord einen dankbaren Blick zu.
Die Wachen begleiteten sie aus der Zelle und Eola rieb sich die zerschundenen Handgelenke, als die schweren Ketten davon abfielen. Der Gefangene in ihrer Nachbarzelle, machte ein langes Gesicht und im Vorbeigehen streckte sie ihm unauffällig die Zunge raus.
Zurück im Burghof, beobachtete sie das rege Treiben. Man hatte einige der Karren in den Hof gezogen und Männer in Rüstungen beluden sie mit Waffen und Proviant. Scheinbar machte man sich daran, die Burg zu verlassen.
“Ihr werdet beim Verladen helfen. Lord Kamm, ihr seid für den Gefangenen verantwortlich."
Der Lord nickte, dann wechselten einige Münzen den Besitzer.
“Ich werde dafür aufkommen”, erbot sich Eola, als die Wachen sich entfernt hatten, doch Kamm warf ihr einen bösen Blick zu.
“Euer Gold wurde konfisziert, genau wie eure restliche Habe.”
Eola knirschte mit den Zähnen, nickte jedoch.
“Ihr brecht bald auf?”, fragte sie dann und Lord Kamm nickte.
“Ende der Woche wird eine Vorhut nach Riedhalm aufbrechen.”
Eola nickte. Kamm sich zu ihr um und jetzt erkannt sie die unterdrückte Wut die ihm ins Gesicht geschrieben stand.
“Wisst ihr was ihr angerichtet habt Kind?”
Sie schluckte.
“Ich habe doch gar nichts getan. Der hohe Lord war betrunken und ist in sein eigenes Messer gefallen. Es war ein Unfall”, verteidigte sie sich.
“Ein Unfall sagt ihr also? Das sind die Männer des Lord Geiz aber andere Meinung.
Man beschuldigt euch der Hexerei.”
Eola schnaubte.
“Weil sie keine Ahnung haben.”
“Wovon?”, fragte Kamm und zog eine Augenbraue hinauf. “Ich habe euch spielen sehen.”
Eola gefiel es gar nicht, wie er das sagte. In seiner Stimme schwang ein gefährlicher Unterton mit. Dann seufzte er und rieb sich das Nasenbein.
“Wie auch immer. Das Problem ist größer als ihr. Lord Geiz hatte dem König Männer versprochen. Krieger, die mehr über das Kaiserreich und ihre Schwachpunkte wissen, als sonst eine Einheit. Sie sind tief ins Kaiserreich vorgestoßen. Der König erwartet ihre Rückkehr, aber ohne ihren Lord ist es fraglich, ob sie uns noch helfen werden.”
“Oh.”
“Ich fürchte, ich kann nicht viel für euch tun, falls der König entscheiden sollte, euch an die Männer des Lord Geiz auszuliefern und ihrem gerechten Zorn.”
Eola biss die Zähne aufeinander, sagte jedoch nichts mehr. Was war nur mit ihrem Glück los, es hatte sie doch nicht tatsächlich verlassen?
“Ein Gutes hat das Ganze allerdings.”
Kailan hatte sich von hinten genähert, ohne dass Eola es bemerkt hatte.
“Wäre euer Fall nicht so brisant, hätte der König euch vermutlich einfach hängen lassen.
Und was ist daran gut?”, wollte Eola wissen.
“Ihr habt die Chance, euch zu verteidigen, euren Fall zu erklären. Wenn ich an eurer Stelle wäre, würde ich einfach zugeben, dass ich Magie gewirkt habe. Damit fallt ihr unter die Gerichtsbarkeit des Königs und er kann euch nicht mehr an Geiz Männer ausliefern.”
“Er ist der König, er kann tun und lassen was er will”, brummte Kamm.
“Habt ihr denn Magie gewirkt?”, fragte Kailan und musterte sie neugierig.
“Ich habe ihn nicht getötet, falls ihr das andeuten wollt.”
Kailan hob abwehrend die Hände.
“Ich meinte beim Spiel. Ihr seid keine Mörderin Eola, da bin ich mir sicher.”
“Ich danke für euer Vertrauen Kailan.”
Es war nur ein bisschen sarkastisch, wie sie das sagte, doch Kailan lächelte.
“Genug von all dem. Macht euch an die Arbeit ihr beiden!”, wies Lord Kamm sie nun streng zurecht und entfernte sich bereits bevor Eola oder Kailan noch etwas erwidern konnten.
Den Rest des Tages verbracht sie damit Kailan beim Beladen der Wägen zu helfen und jeder ihrer Muskeln schmerzte als es endlich zu dämmern begann. Die Männer des Lord Geiz, die am Abend des Unglücks dabei gewesen waren, warfen ihr zwar ständig finstere Blicke zu, aber sie versuchte sie soweit es ging zu ignorieren.
Dann, als sie schon meinte der König habe sie vergessen, betrat Lord Fremm den Burghof und sah sich um. Als er sie entdeckte, kam er, gefolgt von einer Gruppe Gardisten in ihre Richtung. Kailan gesellte sich zu ihr und legte Eola eine Hand auf die Schulter.
“Du schaffst das schon. Erzähl ihnen einfach, was passiert ist. Der König ist ein gerechter Mann.”
“Zu eurer Frage. Ich bin keine Magierin, aber mein Glück könnte man wohl als magisch bezeichnen.”
Er runzelte die Stirn.
“Es hat etwas mit meiner Geburt zu tun. Habt ihr schon einmal von Glückskindern gehört?”
Er wollte noch etwas sagen, doch da hatten die Männer des Königs sie erreicht und Kailan verstärkte nur noch einmal sanft den Griff um ihre Schulter.
“Eolan?”, fragte Lord Fremm und Eola nickte. Es war der Name, den sie benutzte, seit sie in das Lager von Lord Kamm eingezogen war.
“Der König wird sich jetzt mit euch befassen.”
Damit drehte er sich um und die Soldaten nahmen sie in ihre Mitte. Kailan schenkte ihr noch einmal ein aufmunterndes Lächeln, dann wandte er sich wieder seiner Arbeit zu.
Eola kaute nervös auf ihrer Unterlippe, während man sie in die Burg führte, dieselben Gänge hinab, die sie auch mit Lord Kamm und seinen Gardisten gekommen war, als sie das erste Mal zum Treffen im Thronsaal gewesen waren. Dann bogen sie jedoch in Richtung einer Treppe ab, die nach oben führte, und Fremm gab den Gardisten ein Zeichen. Zwei davon positionierten sich am Treppenaufgang und nur einer von ihnen folgte nach oben. Sie starrte auf Lord Fremm’s Rücken, während sie ihm die Treppe hinauf folgte.
Sie bogen erneut ab, dann kamen sie vor einer schweren Eichentür zum Stehen. Irritiert runzelte sie die Stirn, als weder Fremm noch der Gardist Anstalten machte, sie zu öffnen. Es schien beinahe, als hätten sie Angst und nach einiger Zeit des stillen Wartens erklang von der anderen Seite der Tür eine Stimme. Eola stutzte, dann musste sie lächeln.
“Herrein”, erklang die melodische Stimme der Zauberin von der anderen Seite der Tür.
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