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Dienstag, 25. Februar 2025

Die Zauberin; Das Glückskind: Gentilis; Kapitel 9


Wenn alle Stricke Reißen


“Ihr!”

Kailan fluchte, wandte sich um und rannte, gefolgt von Eola, den Gang wieder hinunter. Der Kämmerer war ihnen dicht auf den Fersen. Hinter ihm folgte eine Gruppe Gardisten.

“Nicht da lang”, warnte Eola ihn, doch es war bereits zu spät. Sie standen in einer Sackgasse. Vor ihnen blanker Stein, hinter ihnen das Getöse nahender Soldaten. Kailan fluchte erneut, sah sich nach einem Fluchtweg um und folgte Eola, die ihm die Tür zu einem der Gemächer offen hielt.

“Sie sind dort hinein!”, rief der Kämmerer, als Kailan die Tür hinter ihnen ins Schloss geworfen hatte. Rasch sah er sich um, dann ein Kreischen. Das Mädchen im Türrahmen, war noch jung, trug allerdings die feinen Kleider einer Lady. Dünn war sie blass, beinahe ungesund blass. Kailan spurtete auf sie zu und fing sie gerade noch auf, als sie in Ohnmacht fiel. Er legte sie auf dem Bett ab, dann stürmte er zurück zur Tür und half Eola , die bereits dabei war, Möbelstücke vor den Eingang zu räumen. Kailan warf sich gegen den Schrank, der an der Wand daneben stand, bis er mit lautem Getöse zur Seite kippte und Staub aufwirbelte.

Er stapelte einen Sessel oben auf und trat dann zu Eola, die vor der Lady kniete. Sie war wieder wach, anscheinend hatte sie der Lärm zurückgeholt.

“Keine Angst”, beruhigt Eola sie. “Wir wollen dir nichts tun, Eirina. Das hier ist Kailan. Er will mir helfen, den Kaiser zu finden, aber die Wachen draußen werden uns nicht lassen. Könnt ihr uns helfen?”

“Helfen?”, murmelte die Lady und sah Eola an, dann wieder Kailan und schließlich wieder Eola.

“Ich … Ich kann nicht.”

Kailan sah sich nach einem weiteren Fluchtweg um. Doch die Gemächer der Lady Eirin hatten nur einen Zugang und den hatten sie blockiert. Jemand warf sich von draußen gegen die Tür und sie würde nicht lange halten.

“Das Fenster”

Er lief hinüber, doch bis zum Boden waren es gut zwanzig Meter. Eola saß immer noch bei der Lady, doch Kailan zerrte sie auf die Beine.

“Sie kann uns nicht helfen. Die Gardisten werden nicht auf sie hören. Das Bettzeug, knote daraus ein Seil.” Dann wandte er sich der Lady zu. “Wir müssen uns ein paar Kleider leihen. Und gibt es noch mehr Bettbezüge?”

Eirina schüttelte den Kopf. 

“Sie … Sie bewahren sie im Waschraum.”

Dann zeigte sie auf einen weiteren Schrank hinter dem Bett. Eola hatte damit begonnen, die Decken und Kissen auf dem Bett zusammenknoten und Kailan eilte zum Schrank hinüber.

Die Tür ächzte bedrohlich unter den Schlägen der Gardisten, die jetzt begonnen hatten das Holz mit ihren Schwertern zu bearbeiten.

“Aufmachen! Im Namen des Königs!”, rief einer der Männer, doch Kailan ignorierte es.

Lady Eirina hatte die Hände gefaltet und schien den Tränen nah.

“Euch wird nichts passieren Eirina. Versprochen. Wenn wir weg sind, sagt ihr ihnen einfach, das wir euch bedroht haben.”

Kailan warf ihr einen bösen Blick zu.

“Mach es nicht noch schlimmer Eola. Die Bedrohung einer Lady ist ein Affront gegen ihren Lord.”

“Lord Ormund?”

Kailan verband die Kleider der Lady mit schnellen Knoten und befestigte dann alles an dem provisorischen Seil, das Eola aus dem Bettzeug geknotet hatte.

"Ausgerechnet …”

Dann lief Kailan mit dem Knäul aus Stoff zum Fenster und warf es hinaus. Das andere Ende befestigte er am Bettpfosten. 

“Du zuerst”, sagte er und wartete dann, bis Eola auf das dünne Brett am Fenster geklettert war. Von dort aus ließ sie sich langsam am Seil hinab. Der Bettpfosten knarrte bedrohlich. Kalian fuhr herum, als das Holz der Tür hinter ihm splitterte und dann nachgab. Noch lag der Schrank den Gardisten im Weg, doch einer der Soldaten zerrte bereits den Sessel in den Flur, dann machte er sich daran, ins Zimmer zu klettern. Kailan machte sich daran, seinerseits aufs Fensterbrett zu steigen und sah nur kurz nach unten. Eola hatte es beinah bis zum Ende des Seils geschafft, doch es war nicht lang genug. Bis zum Boden waren es immer noch knapp zehn Meter. Mit Sorge im Blick sah das Mädchen zu ihm hoch. Er zwang sich dazu, nicht über die Höhe nachzudenken und begann zu klettern. Als er Eola fast erreicht hatte, schob sich über ihm der Kopf des Gardisten aus dem Fenster. Dann zog er den Kopf wieder ins Zimmer und brüllte Befehle. Dann gab das Seil nach und Kailan meinte schon, der Soldat hätte es losgeschnitten. Er klammerte sich daran und Eola unter ihm kreischte vor Schreck. Doch abrupt endete ihr Fall wieder und als Kailan nach oben sah, stellte er fest, dass es lediglich eins der Kleider war, das an der Naht entlang aufgerissen war. Noch hielt das Seil und sie waren dem Boden ein Stück näher. Das war also das unverschämte Glück eines Kindes, das unter dem Stern eines Drachen geboren worden war. Kailan war beinahe empört darüber, wenn es nicht so unheimlich praktisch gewesen wäre. Dann gab das provisorische Seil erneut nach, als ein weiteres Kleid an der Naht aufriss und jetzt waren sie nur noch acht Meter über dem Boden. Trotzdem wäre ein Sturz aus dieser Höhe immer noch gefährlich, wenn nicht sogar tödlich, das wusste Kaila aus Erfahrung. Ein weiteres Kleid riss und beförderte sie einen weiteren halben Meter nach unten. Es würde nicht reichen. Egal wie viel Glück dieses Mädchen auch hatte. Es würde das Unmögliche nicht möglich machen. 

Sie hatten keine Zeit mehr, einer der Gardisten beugte sich erneut aus dem Fenster und jetzt hörte Kailan ganz eindeutig, wie er mit dem Schwert begann, den Stoff oberhalb des Fensters zu durchschneiden.

“Du musst springen.”, rief er dem Mädchen zu. “Versuche dich abrollen, nicht mit den Händen aufkommen, über die Schulter und mach dich rund.”

Eola nickte und zögerte nur kurz, dann ließ sie das Seil los und schrie, während sie fiel.

Kailan hatte keine Zeit, nachzuschauen, ob sie den Fall unbeschadet überstand, denn jetzt gab das Seil endgültig nach, der Gardist am Fenster hatte es mit einem sauberen Hieb zertrennt.

Wind drang ihm in die Ohren und Kailan merkte noch im Fall, dass er nicht genug Zeit haben würde, um die Beine unter dem Körper hervorzubringen. Als verlegte er sich darauf, den Rücken zu krümmen und dann sah er den Erdboden. Bevor er reagieren konnte, war er einfach da und Kailan widerstand dem Drang, die Hände vors Gesicht zu reißen. Stattdessen legte er das Kinn an die Brust und rollte über die Schulter ab. Trotzdem war der Aufprall markerschütternd und es knackte in seiner Schulter. Dann kam er hoch auf die Knie und wäre fast wieder vorne übergefallen, doch Eola hielt ihn fest. Mit schmerzverzerrtem Gesicht sah er zu ihr auf. Sie grinste ihn an. Hatte sie den Fall ohne einen Kratzer überstanden? Natürlich. Sobald sie nicht mehr in Gefahr geschwebt hatte, war das Seil durchtrennt worden. Ihr Glück gab wirklich einen feuchten Dreck auf die Menschen um sie herum.

“Alles okay?”, fragte Eola und jetzt stand doch Sorge in ihrem Gesicht.

“Ich glaube schon. Es ist nur die Schulter, vermutlich ausgerenkt.”

Eola half ihm auf die Beine und schnell entfernten sie sich von der Burg. Als sie bei einer Gruppe Bäume angelangt waren, die den Blick auf sie von Ärenfels aus verdeckte, blieb Kailan und lehnte sich an den Stamm einer kleinen Birke.

“Gebt mir eine Sekunde.”

Eola nickte, sah jedoch mit zerfurchter Stirn zur Burg hinüber. Man würde sie suchen, vermutlich die ganze Nacht. Schließlich würde diese spektakuläre Flucht den Verdacht auf Eola nur verstärken. Und wenn Kailan Pech hatte, war auch er erkannt worden. Der Lord Verräter hatte seinen Spion aus der Burg befreit, würde es heißen, da war Kailan sich sicher.

Er fluchte, hielt sich die verletzte Schulter. Kailan schmeckte Blut und stellte fest, dass er sich beim Fall die Lippe aufgebissen hatte.

“Wir können nicht hier bleiben. Ich habe den Männern gesagt, sie sollen am Rand des Eberhain Stellung beziehen.”

“Welchen Männern?”

“Sellen, Taub und Pollen.”

“Pollen?, fragte Eola skeptisch.

"Ja, er ist impulsiv, aber einer unserer besten Kämpfer.”

“Dann auf zum Eberhain.”

Kailan nickte, wollte sich aufrichten, doch seine Schulter jagte einen stechenden Schmerz bis in seinen Bauch und er sackte zusammen.

“Sicher das wir es bis dahin schaffen? Ihr seid verletzt …”

“Es geht schon”, versicherte Kailan ihr, dann richtete er sich erneut vorsichtig auf und versuchte sich an einem Lächeln. Es misslang.

 




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