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Mittwoch, 26. Februar 2025

Die Zauberin; Das Glückskind: Gentilis; Kapitel 10


Tunnel der Toten


In tiefer Erde im Ahnenfels, tat sich ein Auge auf. Etwas regte sich, streckte die steifen, raschelnden Gleider. Es gähnte, hätte es das denn gekonnt. Ein weiteres Auge blinzelte und das dritte sah dem Greis entgegen.

“Zeit aufzuwachen”, flüsterte er. 

Uralte Glut stieg auf, Zorn, der für eine lange Zeit geschlafen hatte, doch verloschen war er nie. Und so erwachte der Schrecken erneut.



Als sie die Ausläufer des Waldes erreichten, war Kailan so blass um die Nasenspitze, dass Eola Sorgen hatte, er würde bald zusammenbrechen und nicht mehr aufstehen, doch der Krieger hielt sich wacker auf den Beinen.

Sellen entdeckte sie als erstes, er kam zwischen den Bäumen hervor gelaufen und sah Kailan besorgt an.

“Was ist passiert?"

“Wir mussten fliehen, vor den Gardisten des Königs.”

“Das ist gar nicht gut”, murmelte Taub und nahm ihr den verletzten Kailan ab.

“Was zum stinkenden Nebel macht sie hier?”, fragte Pollen und zeigte mit dem Finger auf Eola.

Sie hat die Pläne gefunden, die euren Lord vor dem Strick bewahren werden!”, fuhr Eola ihn giftig an.

“Und hat uns erst in den ganzen Schlamassel geritten.”

“Klappe Pollen”, knurrte Kailan, hustete dann und rieb sich die blutige Lippe.

“Ihr seht gar nicht gut aus Kailan. Wir müssen euch zu einem Heiler bringen.”

“Dafür ist keine Zeit Taub. wir müssen den Kaiser finden, bevor es zu spät ist.”

“In deinem Zustand finden wir höchstens den Tod.”

“Noch ein Wort Pollen und ich …”

Kailan holte keuchend Luft und Taub bugsierte ihn zu einem der Bäume, lehnte ihn vorsichtig dagegen und besah sich die verletzte Schulter. 

“Seht euch die Pläne an und findet heraus wo sich der nächstgelegene Eingang befindet, wir brechen auf, sobald ich mich etwas erholt habe.”

“Ihr solltet hier warten”, schlug Sellen vor, doch Kailan schüttelte den Kopf.

“Ich werde diesen verfluchten Kaiser persönlich aus seinem Versteck zerren und wenn es das letzte ist, was ich tue. Außerdem habt ihr ohne mich gar keine Chance.”

Die rechte Hand des Lord Kamm versuchte zu lächeln doch es kam eher einer Miene gleich, die man aufsetzte, wenn man auf eine Zitrone gebissen hatte. Mit zitternder Hand zog Kailan die Karten hervor, die Eola ihm gegeben hatte und übergab sie Taub. Der alte Krieger entzündete eine Fackel, reichte sie Pollen und bedeutete ihm, sie über seinen Kopf zu halten. Er glich kurz die Karten miteinander ab, dann deutete er auf eine Stelle am Rand von Ärenfels. 

“Hier, das ist keine dreihundert Meter von uns. Aber was machen wir, wenn der Eingang tatsächlich verschüttet ist, wie ihr es vermutet habt, Kailan?"

“Dann suchen wir einen anderen oder beräumen die Trümmer. Und wenn es die ganze Nacht lang dauert.”

“Wie ich mein Glück kenne, ist der Gang frei. Solange ihr mich dabei habt…”

“Glück! Pha, dass ich nicht lache. Ihr habt uns bisher nur Pech gebracht, Kleine."

“Ich habe die Pläne gefunden, oder nicht? Und wir werden auch den Kaiser finden, da bin ich mir sicher.”

Die Sonne war mittlerweile untergegangen und im Schein der Fackel, immer darauf bedacht, nicht zu sehr aus den Bäumen hervorzutreten, machte sich die Gruppe schließlich auf den Weg. Sellen ging voran, gefolgt von Pollen, der den verletzten Kailan stützte. Eola ging neben Taub zuletzt. Die Ausläufer des Ahnenfels reichten bis in den Eberhein und hier und da erhoben sich kahle Felsen in den dunklen Himmel. Knorrige Wurzeln rankten sich an ihnen hinauf und wirkten im Licht der Fackel wie dürre Finger, die den alten Grabhügel fest im Griff hielten. Eola fragte sich, wann man den Felsen umbenannt hatte und warum und stellte Taub ihre Frage.

“Ich weiß es nicht. Die Hügelländer bergen einige Geheimnisse, die der Zeit zum Opfer gefallen sind. Vermutlich war der Hügel früher eine Grabstätte für die Stämme, die hier gelebt haben. Vielleicht wollte man nicht, dass die Burg mit einem Ahnendenkmal in Verbindung gebracht wird, oder es geriet irgendwann in Vergessenheit. Die Eroberungsfeldzüge des Kaisers haben viel der alten Geschichte zerstört, die seine Länder einst geprägt hat.”

“Wie die Kultur der Hexenmeister?”

Taub nickte. 

“Sie waren die erste Zivilisation, die der Kaiser auslöschte, aber es folgten viele mehr.”

“Und der König wusste von alldem nichts? Das kann ich kaum glauben.”

“Wir auch nicht. Kailan vermutet, dass es einen Grund gibt, warum er die Tunnel für unpassierbar hält. Er schließt die Möglichkeit schlicht aus, das der Kaiser sich dort versteckt”

“Das klingt ja vielversprechend.”

Taub musste lächeln und fuhr sich mit der Zunge kurz über die Lippen.

“Hattet ihr nicht gesagt, euer Glück würde sich darum schon kümmern?”

“Ja, aber es ist keine Zauberei, es sorgt lediglich für unverschämte Zufälle und glückliche Fügungen.”

“Und es bringt andere um euch herum durchaus in Schwierigkeiten. Vielleicht Fluch und Segen zugleich”

Eola nickte stumm. Er hatte recht. 

“Deshalb will ich, dass Bajka mir die Zauberei beibringt, ich kann mich nicht ewig auf Zufälle und glückliche Fügung verlassen. Erst recht, wenn es anderen schadet.”

“Das ist vermutlich weise.”

Plötzlich blieb Sellen stehen und Eola folgte seinem Blick. Am Rande einer der Felsen, die im Schatten der Burg lagen, wurde der Boden ebenfalls zu zerklüftetem Stein und senkte sich ab, bis er von einem Schlund aus Dunkelheit verschluckt wurde.

“Das sieht nach unserem Eingang aus”, sagten Sellen und ging voran zu dem tiefgelegenen Höhleneingang. Wie befürchtet, war er verschüttet. Geröll und Steine, manche so groß wie Wagenräder, versperrten den Eingang.

“Und jetzt?”, fragte Sellen.

“Wir sehen zu, ob wir die Trümmer fort schaffen können”, sagte Kailan, dann wandte er sich an Taub. “Seht nach, ob es noch einen anderen Eingang gibt.”

“Es gibt noch zwei, aber die befinden sich auf der anderen Seite der Burg”, erklärte dieser. “Wir müssen uns entscheiden, Kailan. Entweder wir laufen jeden davon ab oder legen diesen hier frei.”

Kailan nickte, seine Schulter hing schlaff herab und sein Gesicht war so blass wie der Mond über ihnen, der jetzt seine Strahlen durch die Äste hinter ihnen warf. So gab es zumindest ein bisschen Licht.

“Dann ist es entschieden. Wir haben keine Zeit und wenn dieser verschüttet ist, sind es die anderen auch.”

“Wo ist euer Glück jetzt, Mädchen?”, schimpfte Pollen und Eola seufzte.

“Ich habe euch dabei, oder? Vielleicht hat mein Glück euch geschickt, um die Arbeit für mich zu tun?”

Pollen schnaubte.

“Na ganz toll. Du wirst mithelfen, Kleine.”

Dann machten Pollen und Sellen sich an die Arbeit und Eola nahm einige der kleineren Steine entgegen, die nicht zu schwer waren. Taub schichtete die Steine dann auf einen Haufen nicht weit entfernt. Kailan war zu schwach und ließ sich an einer nahen Buche hinab sinken, um zu verschnaufen. Nach einer guten Stunde Arbeit, der Mond stand inzwischen hoch über ihnen, waren sie immer noch kaum weiter gekommen. Eola war durchgeschwitzt und das Kleid behinderte sie bei der Arbeit, sodass sie irgendwann Streifen davon abriss und um ihre Hände wickelte, damit die Steine ihr die Haut nicht blutig rissen. Trotzdem würde sie morgen heftige Blasen und Schwielen haben, nicht nur an den Händen. Sellen legte eine Pause ein und Pollen fuhr ihn an, doch Kailan ging dazwischen.

“Lass ihn kurz ausruhen Pollen. Es bringt nichts, wenn wir zu erschöpft sind, um weiterzumachen oder zu kämpfen. Wer weiß was uns in den Tunneln erwartet.”

Pollen wurde blass. 

“Meint ihr die Toten? Bei allen guten Geistern Kailan, ihr erwartet doch nicht etwa…?”

“Untote? Nein, die Stämme der Hügelländer beschäftigten sich nicht mit Todesmagie. Sie waren sehr abergläubisch. Der Ritus der Totenbeschwörung war ihnen ein Sakrileg.”

"Und da seid ihr euch sicher?”

Taub nickte.

“Kailan hat recht. Sie errichteten diese Hügel, weil sie Angst davor hatten, ihre Toten könnten sich erheben. Also haben sie sie nicht nur vergraben, sondern noch Erde oben aufgeschichtet.”

“Und warum haben sie dann Tunnel gebaut, die hinein und hinaus führen?”

Taub runzelte die Stirn.

“Das ist eine gute Frage. Kailan?” 

Doch der Krieger schüttelte leicht den Kopf.

“Ich weiß es nicht. Vielleicht hat der Kaiser sie angelegt, wo er sich doch so gut in ihnen auskennt.”

“Warum sollte der Kaiser des Nebelreiches Tunnel in den Grabmälern seiner Feinde anlegen?”, fragte Sellen.

“Woher soll ich das wissen. Ihr könnt ihn ja fragen, wenn wir ihn finden.”

Pollen gesellte sich zu Taub und besah sich die Karten, die der alte Krieger studierte.

“Die Grabkammern scheinen sich direkt unter dem Thronsaal zu befinden”, teilte er mit. Eola, kannte die Karten bereits und weil sie keinen noch schlechteren Eindruck machen wollte und eh nicht kämpfen konnte, fuhr sie fort, die kleineren Steine vor der Höhle fortzuräumen. Plötzlich löste sich einer der Steine und sie sprang erschrocken zur Seite.

“Achtung!”, rief sie, Kailan sprang auf und auch Pollen und Sellen sahen zu ihr hinüber. Eola hatte sich auf einem der Erdhügel in Sicherheit gebracht, die seitlich neben dem Höhleneingang zum Felsen darüber hinauf führte. Der Stein rollte den Rest des Geröllhaufens hinunter und blieb zitternd vor Pollen liegen. Dieser runzelte die Stirn und sah zum verschütteten Eingang hin. Dann weiteten sich seine Augen und Eola folgte dem Blick.

Die Steine knirschten und zitterten, Staub rieselte an Eoal’s Füßen vorbei, dann knackte es laut, tief im Felsen und die Steine kamen in Bewegung. Eola musste grinsen. Pollen wich gefolgt von Taub und Sellen zurück und Kailan stieß eine Warnung aus. Dann kollabierte der ganze Haufen mit einem lauten Getöse. Eine Lawine aus Schutt und Geröll ergoss sich auf die zertretene Erde vor dem Eingang und als der Staub sich legte, war kurz unter der Höhlendecke ein kleiner Durchgang zu erkennen.

“Ha! Ich habs euch ja gesagt”, triumphierte Eola und sprang vom Erdhügel hinunter. Dann gesellten sie sich zu Pollen und Taub, die mit offenen Mündern auf den freigelegten Eingang starrten. Sellen war nicht weniger erstaunt und schenkte ihr ein Lächeln.

“Du bist unglaublich.”

“D-Danke”, stammelte sie und wurde rot.

Kailan regte sich als erstes und stieg den Rest des Gerölls empor, dabei hielt er sich mit dem gesunden Arm an einer Wurzel fest und winkte Taub heran.

“Macht mal Licht.”

Der alte Krieger gehorchte und stieg zu Kailan auf die Reste der Barrikade.

“Da passen wir nicht durch”, beschwerte Pollen sich.

“Aber wir können den Durchgang erweitern.”

“Ich pass da durch.”

Kailan sah sie kurz an und schüttelte den Kopf.

“Du gehst da nicht alleine rein. Dein Glück mag dich beschützen, aber wenn der Kaiser entkommt, ist Lord Kamm dem Tod geweiht.”

“Er wird nicht entkommen. Nur wenn ich Eolin den Kaiser liefere, werde ich Bajkas Schülerin. Es wird passieren.”

“Das mag sein. Aber wir müssen es sein, die ihm den Greis liefern. Am Ende kommt ihr von dort mit dem Kaiser direkt in den Thronsaal und Kamm gilt weiterhin als Verräter.”

Eola runzelte die Stirn

“Wieso? Wenn ich nicht mehr verdächtigt werde, lösen sich doch alle Anschuldigungen in Luft auf.”

Kailan schüttelte den Kopf.

“Ich bin unbefugt in den Palast eingedrungen und habe eine Lady bedroht. Das kann der König nicht ignorieren. Nur der Preis für den Kaiser kann das wieder gut machen."

“Ihr habt was?”, fragte Pollen erschüttert.

Kailan warf ihm einen strengen Blick zu.

“Ihr habt Lord Fremm das Schwert unter die Nase gehalten, also verurteilt mich nicht. Außerdem habe ich niemanden bedroht, aber es wird so ausgelegt werden.”

Kailan kletterte wieder zu Sellen hinunter und musste sich kurz an ihm festhalten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.

“Und jetzt räumt mir einen Weg frei ihr beiden”

Es dauerte eine weitere halbe Stunde, bis das Loch so groß war, dass auch Pollen, der Größte von ihnen, hindurch passte und mittlerweile war es so dunkel, dass man außerhalb des Lichtkegels der Fackel kaum noch etwas erkennen konnte. Der Mond hatte sich hinter der Burg verkrochen und Eola fröstelte im kühlen Frühlingswind, der von Ärenfels her wehte.

Pollen stieg mit der Fackeln zum freigelegten Eingang hinauf und half dann Kailan dabei, sich hindurch zu schieben.

“Jetzt ihr!”, wies er Sellen an. Dann folgte Taub und Eola ihm. Doch Pollen hielt sie mit der Hand zurück.

“Ihr kommt nicht mit. Wir brauchen jemanden, der aufpasst und uns den Fluchtweg freihält.”

“Hey, das ist nicht fair”, protestierte Eola. “Kailan hat mir versprochen…”

“Es tut mir leid, Kleine. Es ist besser so. Bitte.”

Eola seufzte. “Nagut, aber wenn ihr in einer Stunde nicht wieder da seid, werde ich euch folgen, egal was ihr sagt.”


~


Kailan ließ sich von Sellen dabei helfen, das Kettenhemd anzulegen, dann schnallte er sich das Schwert um. Seine Schulter schmerzte immer noch und er hatte die Befürchtung, dass es sich um mehr handelte als nur eine einfache Prellung. Obwohl auch diese verdammt wehtun konnten. Nein, er hatte Probleme mit dem Kreislauf, seit er gestürzt war und das deutete auf innere Verletzungen hin, oder er hatte sich zu doll den Kopf gestoßen. Er hatte erlebt, wie die tapfersten Krieger daran gestorben waren. Er stellte mit Hilfe der Kleider des Dieners eine Schlinge her und verzog das Gesicht, als ihm zum wiederholten Mal Schmerzen, Tränen in die Augen trieben. Der Gang, dem sie folgten, glich zu Beginn noch einer Höhle. Nacktes Gestein beschloss die Decken und Erde und Wurzeln die Wände. Von Zeit zu Zeit rieselte Dreck von der Decke, doch irgendwann erkannte man erste Mauerstrukturen, die sich aus den Wänden schälten, wie Schimmelflecken bei einer Kartoffel. Kailan zwang sich, weiterzugehen, obwohl seine Schulter ihn schwächte. Verdammt, es war definitiv etwas gebrochen. Er würde Pollen, Taub und Sellen das Kämpfen überlassen müssen. Denn Kailan war sich sicher, dass der Kaiser sich nicht hierher zurückgezogen hatte, ohne eine Versicherung für den Notfall. Er saß in den Tunneln in der Falle und Taub hatte ihm davon erzählt, dass die alten Stämme der Hügelländer Zauber auf ihre Gräber gelegt hatten, die jeden verfluchten, der sie schänden wollte. Er konnte nur hoffen, dass sie überhaupt bekämpfen konnten, was auf sie wartete. Kailan hatte das unangenehme Gefühl, hier unten nicht allein zu sein. Pollen und dem Jungen sagte er von dieser Vermutung jedoch lieber nichts. Der Bastard des Lords war beinahe ebenso abergläubisch wie die alten Stämme der Hügelländer und er wollte den Jungen nicht noch zusätzlich beunruhigen. Es hatte ihm schon nicht besonders gefallen, dass sie Eola am Eingang der Höhle zurückgelassen hatte. Irgendwann hatten die alten, zu rechtecken geschlagenen Feldsteine das Erdreich ganz abgelöst und der Gang wurde etwas breiter. Flechten und Pilze bedeckten die Wände und die Decke. Die Männer waren schweigsam, seit sie die Tunnel betreten hatten, als fürchteten sie jemand könnte sie hören, doch die Toten schwiegen und hören konnten sie schon lange nicht mehr. Irgendwann verzweigten sich die Gänge und Taub markierte die Weggabelungen mit Pfeilen, die er mit dem Dolch in die grünen Flechten ritzte.

“Ihr wisst hoffentlich, wo wir lang müssen?”, fragte Pollen schließlich und brach damit das Schweigen. Taub nickte und wies auf eine Verzweigung der Tunnel direkt vor ihnen.

“Dort rechts und wenn ich diese Karten richtig lese und sie tatsächlich stimmen, sollte der Gang uns direkt in die Grabkammern bringen.”

Pollen nickte, sie folgten dem Gang, bogen rechts ab und standen fünf Minuten später vor einem Haufen Geröll.

“Na toll”, schimpfte Pollen.

“Seid ihr euch sicher, dass wir richtig abgebogen sind?”

Taub nickte. “Die Gräber sind geradezu. Bisher stimmte jede Kreuzung, die eingezeichnet war.”

“Kailans Vermutung stimm also. Der Kaiser sitzt da drin fest”, dabei deutete Sellen auf den verschütteten Gang vor ihnen. “Wir hätten Eola mitnehmen sollen”

Pollen schnaubte und hob die Fackel über den Kopf, damit sie besser sehen konnten.

“Sie kann nicht zaubern, das habt ihr doch gehört und nicht jede dieser Barrikaden kann so instabil sein wie die, die wir bereits überwunden haben. Außerdem war es eine gute Idee, sie als Wachposten zurückzulassen. Wer weiß was sie tut, wenn wir den Kaiser erst einmal haben. Dann braucht sie uns nicht mehr.”

“Redet nicht so über sie!”, fuhr Sellen ihn an, “Das würde sie nicht tun.”

Kailan warf ihm einen bösen Blick zu.

“Genug! Da bekommt man ja das Gefühl, zwei Bälger zu hüten.”

Erschöpft fuhr er sich mit der Hand über das Gesicht.

“Taub, gibt es noch einen Zugang zu den Grabkammern? “

Taub nickte. “Aber wie auch mit den Eingängen draußen, wollen wir sie wirklich alle ablaufen?”

Kailan nickte. 

“Führe uns zu dem, der am nächsten am Westturm der Burg liegt.”

“Er ist am weitesten von hier entfernt. Bist du dir sicher, Kailan?"

“Tut es einfach, ich habe so eine Ahnung, dass es der einzige Durchgang ist, der uns zum Kaiser führt.”

Pollen starrte ihn ungläubig an, doch Taub nickte.

“Hier entlang.”

Er führte sie den Gang zurück, den sie gekommen waren, und bog diesmal links ab, doch nicht ohne vorher eine weitere Markierung zu setzen.

“Warum markiert ihr die Gänge eigentlich, wenn wir die Karten haben.”

“Reine Vorsichtsmaßnahme.”

Aber Kailan wusste genau, dass er die Markierungen für Eola setzte und er ging nicht darauf ein. Der Tunnel führte sie in einer leichten Biegung um die Grabkammern herum und nach knapp zweihundert Metern erreichten sie eine weitere Abzweigung. Taub bog rechts ein und nach kurzer Zeit standen sie vor einem in die Wände eingelassenen Gitter. Es war alt und rostig, aber die Streben gut drei Zentimeter dick. Die Lücken im Gitter waren gerade groß genug, dass ein kleines Tier hindurch passen würde. Kailan hatte recht behalten. So war der Dämmerfuchs also mit dem Gold des Kaisers entkommen.

“Sucht nach einem Hebel oder einer Winde.”

Doch Pollen und Sellen suchten vergeblich.

“Nichts Kailan. Gar nichts.”

Kailan nahm Pollen die Fackel ab, hielt sie an die rostigen Streben und sah in den Raum dahinter. Die Decke war gut zehn Meter hoch und wölbte sich in der Mitte zu einer Kuppel, die mit Kreuzrippen aus grauem Stein aufrecht gehalten wurde. An manchen Stellen hatten sich jedoch Steine aus der Decke gelöst und Wurzeln wuchsen aus dem dunklen Erdreich in die große Halle. Sie war kreisrund und Mulden in den Wänden zogen seine Aufmerksamkeit auf sich. Es waren Vertiefungen, die wie rechteckige kleine Kammern in die Erde gegraben worden waren, manche davon mit Steinplatten verschlossen, an denen dicke Eisenringe hingen, andere waren geöffnet und kahle Schädel und Knochen schienen im Licht der Fackel wieder. Dann nahm Kailan eine Bewegung wahr, im hinteren Teil der Halle, im Schatten der Säulen.

“Zurück!”, zischte er und warf die Fackel auf den Boden, trat sie mit einer Schritt aus und wich mit dem zweiten zurück an die Wand. Er presste sich mit dem Rücken dagegen und Taub zog Sellen vom Gitter weg. Dann scharrte etwas über den harten Boden. Jetzt war es stockdunkel um sie herum und Kailan spürte Pollen direkt neben sich

“Was beim Bart des Kaisers…”

“Sssch.”

Ein Geräusch erklang, wie wenn trockene Blätter aneinander rieben, dann ein schnüffelnder Laut, wie von einem großen Eber und schließlich ein Kreischen, das nicht menschlich war. Es glich schon fast einem Jaulen, das in Kailans verletzter Schulter vibrierte, ihm Schweiß auf die Stirn trieb und eine Gänsehaut den Rücken hinunter. Pollen neben ihm schien es ganz ähnlich zu ergehen.

“Ein Nachtalb”, flüsterte Kailan.

“Was macht der hier unter der Burg? Leben die nicht in den Bergen?”

Kailan hatte mit allem gerechnet, aber nicht hiermit. Pollen hatte recht. Kein Nachtalb war je bis in die Hügelländer vorgedrungen. Sie waren tödliche Wesen, deren Anblick allein die größten Helden in die Flucht getrieben hatte.

“Eins dem was kommt, eins für die Nacht und eins dem was direkt davor”, zitierte Pollen im Flüsterton.

“Psst. Man sagt zwar, sie können nicht gut hören, aber sie haben trotzdem Ohren.”

Das Scharren der Krallen auf dem Boden näherte sich dem Gitter und jetzt drang ein Geruch zu ihnen, der an faules Wasser erinnerte, gemischt mit einer Note verbranntem Papier.

“Er wurde frisch erweckt”, flüsterte Taub. “Sonst riechen sie nach Asche, der hier stinkt nach faulem Zauber.”

"Ich dachte, der Kaiser hätte seine Zauberkraft verloren?"

"Man braucht keine Zauberkraft, um einen Alb zu erwecken, nur Blut und etwas Kohle und dazu eine Menge Hass.”

“Was machen wir jetzt?”

Kailan wusste es nicht. Sie hatten Glück, dass sie sich auf dieser Seite des Gitters befanden. Einem Nachtalb waren sie selbst zu dritt nicht gewachsen.

“Eigentlich machen sie keinen Unterschied zwischen Schöpfer und Beute, das macht ihre Beschwörung so gefährlich. Sie wenden sich meistens gegen ihre Meister, sobald sie erwacht sind.”

“Dann ist der Kaiser tot?”, fragte Sellen, doch Kailan schüttelte den Kopf.

“Nicht unbedingt. Wir müssen zurück zu Eola. Ich habe da so einen Verdacht.”

In diesem Moment hatte der Alb sie entdeckt. Das Kratzen auf Stein wurde lauter und kurze Zeit später bebte das Gitter neben Kailans Schulter. Der Stein barst und einige der Verankerung lösten sich aus der Wand.

“Lauft!”, rief Kailan und folgte Pollen, der sofort los sprintete. Sellen und Taub direkt hinter ihnen, liefen sie den Gang zurück, das grausame Kreischen des Alb im Rücken.

Mann sagte, ein Nachtalb habe drei Augen. Eins sah in die Zukunft, eins in die Vergangenheit und eins sah das Hier und Jetzt. Sie wurden mit Blut gerufen und das war das einzige, nach dem sie lechzten, es zu vergießen. Dabei tranken sie es nicht, wie manch einer vermutete. Sie tränkten lediglich die Erde damit, aus der sie kamen. Wieder warf sich der Alb gegen das Gitter und die Wände zitterten, als hätte selbst der Stein Angst. Es gab helle Alben und Dunkle, soweit Kailan wusste und die einzige Möglichkeit sie zu töten, war sie zehn Meter tief zu vergraben. Nur wie man das anstellte, wenn sie einen gleichzeitig zu zerfleischen versuchten, war Kailan schleierhaft. Doch so war das nun einmal mit Legende, sie ergaben oft keinen Sinn oder waren schlichtweg ausgeschönte Lügen. Sie erreichten die Biegung, rannten weiter, doch ein Bersten und Krachen hinter ihnen, verriet Kailan, dass der Alb jetzt direkt hinter ihnen war. 



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