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Sonntag, 23. Februar 2025

Die Zauberin; Das Glückskind: Gentilis; Kapitel 6



Die Spur des Goldes


Als Eola ins Bett fiel, war Lord Ormund um siebzig Gold ärmer und ihr schwirrte der Kopf vom Wein. Das Bett war weich und die Wäsche roch nach Perfüm. Mit einem Lächeln auf den Lippen schlief sie ein und träumte davon, wie sie mit Bajka kleine Drachen aus dem Nichts hervorzauberte, die dann tollkühne Kunststückchen aufführten. Nur spuckten sie zur ungünstigsten Zeit Feuer und steckten immer wieder Dinge in Brand, die Eola lieb und teuer waren. Was genau diese Dinge gewesen waren, konnte Eola, als sie schließlich aufwachte, nicht mehr sagen. Vielleicht auch, weil sie sehr unsanft aus dem Schlaf gerissen wurde.

Ein lautes "Rums", direkt neben ihrem Ohr ließ sie hochfahren. Sie blinzelte. 

Bücher, realisierte sie noch im Halbschlaf, ein so hoher Stapel, dass er bedrohlich wankte, als Bajka ihn auf ihren Nachtisch hatte fallen lassen. Jetzt ging sie zum Fenster hinüber und zog die schweren Vorhänge beiseite. Licht flutete den kleinen Raum, in den sie Eola einquartiert hatte, und es war, als trieb man ihr dünne Nadeln durch die Schläfen direkt ins Gehirn. Sie wimmerte leise und zog sich die Bettdecke über den Kopf. Die Zauberin öffnete das Fenster und die Geräusche aus dem Burghof drangen zu ihnen empor. Das Wiehern von Pferden, das Knarren der Wagen und eine Kakofonie an Stimmen, die in Eolas Ohren so laut klangen als stünde sie am engen Ende eines Blechtrichters.

“Ihr habt gespielt und getrunken, sagte man mir?”

Die Zauberin sprach ohne einen guten Morgen und auch wenn es wie eine Frage formuliert war, klang der Vorwurf doch hindurch. Eola setzte sich im Bett auf und sah die Zauberin an.

“Was stört es euch? Noch bin ich nicht eure Schülerin.”

Bajka trug Rot, eine elegante knielange Tunika aus kräftigem Stoff, aber mit feinen Mustern verziert, um sie nicht zu einfach wirken zu lassen. Zusammengehalten wurde sie an der Taille von einem Gürtel aus dunklem Leder, an dem einige Taschen befestigt waren. Es war ihr praktischstes Gewand bisher und doch nicht weniger elegant geschnitten. Zum ersten mal seit Eola sie kannte trug sie Hosen, eng anliegend aus feinem schwarzen Stoff, dazu einen Umhang aus gefüttertem Brokat der in einem dunklen Rotton schimmerte, mit beinah unsichtbaren Stickereien an den Säumen.

“Und wenn ihr euch weiter so unverantwortlich verhaltet werdet ihr es nie.”

Sie wandte sich vom Fenster ab, durch das sie geschaut hatte, und deutete auf die Bücher neben Eolas Bett.

“Ich will, dass ihr die lest. Ihr könnt doch lesen, Eola?”

Eola nickte. 

“Meine Großmutter hat es mir beigebracht.” 

Dann beäugte sie misstrauisch die dicken Bücher, in Leder gebunden und vermutlich mehrere hundert Seiten lang. “Das sind ziemlich viele”, fügte sie dann hinzu.

Bajka zog eine Augenbraue hoch. 

“Ihr habt den ganzen Tag Zeit und nichts besseres zu tun, fürchte ich. Ihr dürft die Burg nicht verlassen und wenn ich euch ausbilden soll, möchte ich nicht das Gefühl haben, mit einem dummen Bauernmädchen zu reden.”

Eola seufzte und ließ die Schultern hängen. 

“Geht es in diesen Büchern wenigsten um Zauberei?”

Bajka lächelte und schüttelte den Kopf. 

“Es geht in ihnen um Semantik und Sprache, darum wie der menschliche Geist und die Gesetze der Natur funktionieren. Ohne diese Grundlagen brauchen wir mit der Zauberei gar nicht erst zu beginnen.”

Eolas Schulter sackte noch tiefer. Sie legte den Kopf schief und ging die Titel der Bücher durch.

“Warum muss ich etwas über Geschichte wissen, um Zauberei zu wirken?”

“Vermutlich gar nichts, aber wir sind am Hofe eines Königs, da solltest du dich mit der Geschichte seines Landes auskennen.”

Eola rümpfte die Nase.

“Gibt es Neuigkeiten vom Kaiser?”

Die Zauberin ging zur Tür und strich sich dabei die Kleider glatt, dabei war dort keine unangebrachte Falte.

“Nein. Der König glaubt, er habe sich auf kindliche Fantasien eingelassen.”

“Ich habe euch nicht belogen. Er war hier. Was kann ich dafür, wenn seine Männer ihn haben entkommen lassen.”

Bajka warf ihr einen strengen Blick zu, als sie bei der Tür angekommen war, dann schnürte sie eine der Taschen an ihrem Gürtel auf und griff hinein.

“Ihr habt mehr Glück als die meisten und ein Selbstbewusstsein, das seinesgleichen sucht. Seht es anderen nach, wenn sie sich selbst anzweifeln.”

Dabei zog sie die Hand wieder aus dem Beutel und blies in ihre Hand. Ein leichter Luftzug kam vom Fenster und verteilte einen  seltsamen Geruch im Zimmer, den Eola nicht genau zuordnen konnte. Er war süßlich und doch scharf und augenblicklich verflogen Eolas Kopfschmerzen.

“Das nächste Mal werdet ihr die Folgen eures Konsums ertragen müssen. Aber heute werde ich es euch noch nachsehen.” 

Dann verließ sie das Zimmer. 

Den Rest des Tages bekam Eola die Zauberin immer nur ganz kurz zu Gesicht. Sie schien wie die Soldaten im Hof damit beschäftigt zu sein, sich auf die Abreise vorzubereiten. Zum Frühstück gesellte sie sich zu einigen Dienern, die in Schweigen verfielen als sie sich in der Küche zu ihnen setzte. Sie versuchte mit einigen ein Gespräch anzufangen, doch man schien sie zu meiden. Nach dem Frühstück ging sie auf Erkundung in der Burg. Im zweiten Stockwerk, in dem man auch Eola untergebracht hatte, gab es außerdem einen großen Aufenthaltsraum mit Stühlen, runden Tischen und einigen bequemen Sofas. Hier traf sie auf die Lady Tahlwynn und Lady Eirina, die es sich bei Tee und Gebäck an einem der Tische bequem gemacht hatten. Eola wollte die Tür gerade wieder schließen, sie hatte keine Lust, sich Lady Tahlwynns Beleidigungen anhören zu müssen, da winkte diese ihr zu und bat sie herein.

“Gesellt euch zu uns Spionin. Ich habe meine Meinung geändert. Wir sollten Freunde werden.”

Ihr Lächeln verriet Eola sofort, dass ihre eigentlichen Absichten ganz andere waren.

Sie schlich beinahe zum gedeckten Tisch hinüber und beobachtete die Lady dabei argwöhnisch.

“Ich habe nach einem Rückzugsort gesucht, um in ruhe lesen zu können”, sagte sie dabei, was zumindest halbwegs der Wahrheit entsprach. Lady Tahlwynn deutete auf den Stuhl neben sich und Eola setzte sich.

“Welche eine Überraschung. Ich hätte nicht gedacht, dass eine Streunerin wie ihr überhaupt lesen kann.”

Eola sah kurz zu Eirina hinüber, diese senkte jedoch schnell den Blick.

“Ich stecke voller Überraschungen Milady.”

Ein spöttisches Lächeln umspielte Lady Tahlwyns Lippen.

“Nun, vielleicht erhebt das Lesen ja selbst den einfachsten Geist. Wenn er sich denn erheben lässt.”

Eola zuckte mit den Schultern und nahm sich mit bloßer Hand eines der Törtchen. Dann schob sie es sich in den Mund, schmatzte genüsslich und leckte dann ihre Finger ab. Mit Befriedigung sah Eola dabei zu, wie ein Ausdruck von Ekel über Tahlwynn's Gesicht huschte.

“Sagt mir Eola, tut ihr euch schwer damit, all die höfischen Gepflogenheiten zu lernen, die euch offensichtlich fehlen oder haltet ihr es für überflüssig?"

Eola lächelte und griff provokativ nach dem nächsten Stück Kuchen.

"Manieren machen nicht gleich einen guten Menschen, dafür seid ihr wohl das beste Beispiel Lady.”

Es war beeindruckend, wie gut Lady Tahlwynn die Schmähung ertrug, Lady Eirin lief jedoch rot an und verschluckte sich beinahe am Tee.

“Eure Zunge ist beinahe so geschickt wie eure Hände beim Spiel. Ihr habt meinen Vater einiges an Gold gekostet letzte Nacht. Ich frage mich nur, ob es euch allein um sein Gold ging und nicht noch um etwas anderes?”

“Um was soll es mir sonst gegangen sein?”, fragte sie, nachdem sie geschluckt hatte.

“Ich weiß es auch nicht, um eine Position am Hofe, um Einfluss und die Zuneigung des Lord von Giesen, vielleicht? Woher soll ich wissen, wie ein streunender Hund denkt.”

Eola schnaubte. Schon wieder diese Hundevergleiche. Fiel ihr nicht besseres ein?

“Ich interessiere mich nicht für Einfluss und Gold kommt und geht.”

“Warum seid ihr dann hier Eola? Was versprecht ihr euch von alldem?”

Darum ging es ihr also. Fühlte sich Lady Tahlwyn etwa von Eola bedroht? Das war lächerlich.

“Mir geht es einzig und allein um die Zauberin Bajka. Ihr Gunst ist alles, was ich hoffe, am Hofe des Königs zu gewinnen.”

Lady Tahlwynn seufzte.

“Fein, ihr müsst es mir nicht sagen. Erzählt mir stattdessen von diesem Lord Kamm. Habt ihr ihm als Gegenleistung für seine Hilfe das Bett gewärmt? Ihm muss einiges an euch liegen, wenn er euch sogar aus dem Kerker freikauft.”

Eole verzog verärgert die Stirn. Sie schüttelte entnervt Kopf und stand auf.

“Ich muss mir das nicht anhören, Milady. Glaubt doch, was ihr wollt.”

Sie drehte sich um und wollte gehen, da sagte Lady Tahlwynn etwas, das sie innehalten ließ.

“Es hat seinem Ruf nicht gerade geholfen, dass er mit euch in Verbindung gebracht wird. Ich wiederholen lediglich Gerüchte, die im Umlauf sind.”

Eola fuhr zu ihr herum und funkelte sie an.

“Lord Kamm ist ein guter Mensch, deshalb hat er mich aufgenommen. Ihm sind seine Leute wichtig, deshalb hat er mich aus dem Kerker geholt und ihr tätet gut daran, diese Gerüchte nicht noch zu vermehren. Habt ihr keinen Funken Anstand im Leib Milady?”

Lady Tahlwynn lächelte und Lady Eirina rutschte jetzt unruhig auf ihrem Stuhl hin und her. Ihr schien die ganze Situation äußerst unangenehm zu sein.

“Es gibt ein Bücherzimmer am Ende des Ganges”, wechselte Lady Tahlwynn plötzlich das Thema und lächelte immer noch.

“Danke, hier halte ich es keine Sekunde länger aus.”

 Damit drehte sie sich um und stampfte wütend aus dem Raum. Was bildete diese Schnäpfe sich ein. Wenn sie ein Problem mit ihr hatte, sollte sie das mit Eola klären und niemanden mit hineinziehen, der es nicht verdient hatte. Um sich abzulenken, nahm sie sich eins der Bücher von Bajka und zog sich in das Bücherzimmer zurück, das Lady Tahlwynn ihr empfohlen hatte. Es war ein gemütlicher Raum im Turm mit hohen Fenstern, die viel Licht einließen und gemütlichen Sesseln, die um zwei runde Tische angeordnet waren. Unter der Wendeltreppe, die nach oben in den Turm führte, stand ein kleines Bücherregal und der Boden war mit weichen Teppichen ausgelegt. Als sie das Buch aufschlug, dass sie sich ausgesucht hatte, stellte sie erschrocken fest, dass es nicht nur ein paar hundert, sondern über tausend Seiten lang war. Eola seufzte und begann zu lesen. Der Text war zäh und vieles musste sie zweimal lesen, ehe sie es verstand. Nach einer guten Stunde schwirrte ihr Kopf derart von Fremdwörtern, dass sie das Buch beiseite legen musste. Ihre Augen waren müde und sie streckte die Glieder. Um sich etwas die Beine zu vertreten, stieg sie die Treppe im Turm weiter hinauf und stand kurze Zeit später im kreisrunden Raum direkt unter dem Dach. Überall lagen Federn und Vogeldreck herum und einige Tauben sahen sie mit schief gelegtem Kopf an. Sie gurten aufgeregt durcheinander. Der Boden knirschte unter ihrem Schritt und sie wollte lieber gar nicht darüber nachdenken, was sie alles mit den Sohlen zertrat. Auf den hohen Balken über ihr, saßen noch mehr Tauben und raschelten mit den Flügeln. Das Mauerwerk war von kleinen Scharten unterbrochen, durch die sie kleine Blicke auf die Stadt und die umliegenden Felder erhaschen konnte. Sie trat an die Mauer und spähte durch eine der Öffnungen. Der Ausblick war überwältigend. Da die Burg Ärenfels auf einem Hügel erbaut worden war, konnte sie bis tief in die umliegenden Hügel schauen, sah die Felder dahinter und die Menschen, die wie winzige Ameisen umher wuselten. Vor der Stadt entstand gerade ein größeres Lager, Wagen so klein wie Spielzeuge und Zelte, die von hier oben nicht größer waren als ihr Fingernagel. Dabei wusste Eola, dass ihr Inneres mehr Platz boten als so manches kleine Haus. Sie musste lächeln und konnte sich gar nicht satt sehen. Schließlich trat sie von der Scharte zurück und wollte den Turm wieder verlassen, da fiel ihr Blick auf etwas Glänzendes auf einem der Balken über ihr. Sie runzelte die Stirn, dann sah sie sich nach etwas um, an dem sie hinauf klettern konnte. In der Mitte des Raumes reckte sich der Stützbalken nach oben und die Holzträger, die in einem spitzen Winkel daran befestigt waren, konnte sie vom Boden aus erreichen. Sie zog sich daran hoch, stemmte sich mit den Beinen vom Stützbalken ab und schob sich auf eines der horizontalen Hölzer darüber.

Sie robbte weiter nach vorne, bis sie in einem der Nester das entdeckte, was sie von unten bereits gesehen hatte. Sie griff danach, doch in dieser Sekunde, fuhr ein Fell bedecktes Köpfchen aus dem Nest hoch und schnappte nach ihren Fingern. Eola keuchte erschrocken auf und hätte beinahe das Gleichgewicht verloren und wäre vom Balken gestürzt. Doch sie fing sich gerade noch und starrte das kleine Tier an, das ihr mit ebenso großen Augen entgegen sah. Das feine Näschen zitterte leicht, die Schnurrhaare waren so lang wie Eolas Finger, in das der kleine Pelzball seine noch kleiner Zähnchen geschlagen hatte.

Sie widerstand dem Drang, ihre Hand zurückzuziehen und ertrug den Schmerz, bis das Tierchen den Biss von alleine lockerte. Es hatte Ohren, die beinahe so groß waren wie es selbst und Finger, die zwar mit runzliger Haut überzogen waren, jedoch entfernt an die von Menschen erinnerten. Die kleine Stupsnase zitterte immer noch, schnüffelte jetzt aber mehr interessiert als ängstlich an ihrer Hand. Eola musste grinsen. 

“Na mein Kleiner. Da habe ich dich aber gewaltig erschreckt, stimmt's? Tut mir echt leid.”

Als es Eolas Stimme hörte, verschwand das Tierchen wieder in seinem Nest und lugte kurze Zeit später misstrauisch daraus hervor. Es erinnerte an eine Maus, doch Eola war sich sicher, dass sie ein derartiges Tier noch nie gesehen hatte. Diese Ohren waren nicht die einer Maus und die seltsamen Händchen, keine Pfoten. Was auch immer es war, das sie hier vor sich hatte, es musste selten sein. Ohne es erneut aufzuschrecken, schob Eola sich rückwärts den Balken entlang und ließ sich wieder vom Balken fallen. Sie landete wieder im Turm, dann lief sie die Treppe hinunter und machte sich auf direktem Weg in die Küche. Sie bat einen der Diener um einen Teller und etwas Gebäck, dann lief sie rasch zurück in den Turm und zerbröselte den Kuchen auf dem weißen Porzellan. Einige Tauben sahen sie neugierig an und kamen angehüpft. Eola verscheuchte sie jedoch mit einer wedelnden Hand. 

“Das ist nicht für euch. Husch!”

Sie lief zum Balken, auf dem sie vor kurzer Zeit noch gelegen hatte, und schob den Teller darauf. Sie verscheuchte erneut einige Tauben, dann setzte sie sich auf die oberste Treppenstufe und wartete. Irgendwann schob das Tierchen erneut den kleinen Kopf aus seinem Nest und schnupperte in die Luft. Dann sah es den Teller, fauchte eine Taube an, die gerade auf den Balken gehüpft war, um sich am Gebäck zu bedienen und als sie erschreckt davon flatterte, tippelte es schnüffelnd auf den Teller zu. Eola sah lächelnd dabei zu, wie die großen Ohren sich zuckend in alle Richtungen bewegten, während das Tier sich einige der Krümel schmecken ließ. Aufmerksam sah es dabei in Eolas Richtung.

“Du bist aber ein hübsches Kerlchen”, sagte sie und bewunderte dabei das gestreifte Fell des Tieres, das wie Perlmutt schimmerte. Die dunkleren Streifen wirken beinahe golden. War es das, was sie gesehen hatte?  

Nein, wieder blitzte hinter dem Tier im Nest etwas auf, das ganz sicher eine Goldmünze sein musste. Vorsichtig näherte Eola sich erneut dem Balken und zerbröselte noch mehr von dem Kuchen in ihrer Hand. Mit offener Handfläche trat sie näher und hielt sie dem Tierchen hin. Als es alle Krümel auf dem Teller verputzt hatte, wandte es sich neugierig Eola zu. Langsam schob es den Kopf vor und schnupperte in die Luft.

“Ein feines Näschen hast du. Ich frage mich allerdings, was du dort oben vor mir versteckst?”

Das Tierchen beugte sich vor, hielt sich mit den Vorderpfoten, die eigentlich Händchen waren, am Balken fest und schnupperte an Eolas Hand. Dann fuhr das Händchen blitzschnell nach vorne und schnappte sich einen besonders dicken Krümel.

“Das schmeckt dir, was? Ich taufe dich Krümel, wie klingt das?”

Das Tierchen leckte sich die Finger sauber und kam Eolas Hand wieder etwas näher, doch sie schloss die Finger um den letzten Krümel und hielt die andere leere Hand hin.

“Wie wär’s Krümel. Wir tauschen dein Gold gegen den letzten Rest Kuchen.”

Krümel legte den Kopf schief und sah Eola aus braunen Glubschaugen an. Dann sah er auf Eolas Hand hinab und schien zu überlegen. Verstand er etwa, was Eola von ihm wollte?

Und dann, als sie schon meinte, Krümel wäre genauso ratlos wie sie es von jedem anderen Tier erwartet hätte, huschte er zurück zu seinem Nest und kam mit etwas rund-glänzendem in den kleinen Fingerchen zurück.

“Verstehst du etwa was ich sage?”

Doch Krümel legte nur erneut den Kopf schief und hielt den Gegenstand, den er mitgebracht hatte, fest vor die Brust gedrückt.

“Na komm schon, was willst du denn damit anfangen. Ich bring dir noch mehr Kuchen, versprochen.”

Krümel legte den Kopf auf die andere Seite, drehte die Münze hin und her und legte sie dann widerstrebend in Eolas Hand.

“Ich danke vielmals Krümel.”

Dann öffnete sie die andere Hand und das Tierchen, das sehr viel intelligenter sein musste als Eola zu Beginn gedacht hatte, quiekte erfreut, als es sich den Rest Kuchen aus Eolas Hand schnappte. Während Krümel aß, besah Eola sich die Münze. Es war tatsächlich Gold und keine Münze aus der Gegend. Das Gesicht auf der Rückseite war ihr nur allzu vertraut, auch wenn er seit einiger Zeit kaum wiederzuerkennen war. Es handelte sich um das Gesicht des Kaisers.


~


Kailan hatte die halbe Nacht und den halben Tag über nach dem Greis gesucht, aber alle alten Männer waren von den Soldaten des Königs zur Burg gebracht worden und es war nur eine Handvoll übrig, auf die jene Beschreibung nicht passen wollte, die der Hauptmann der Wache gegeben hatte. Morgen sollte die Vorhut ausrücken und Lord Kamms Truppen waren ein Teil davon, da sie zu seinem Gehöft auf Reidhalm verrückten. Und so war selbst jetzt, da die Sonne sich erneut dem Horizont zu neigte, noch ein geschäftiges Treiben auf den Straßen. Soldaten und Gardisten brachen die Lager ab und fuhren die Wagen vor die Stadt, wo sie bis zum Tagesanbruch verweilen sollten. Kailan hatte die übrigen Männer wieder zurück ins Lager geschickt, damit sie beim Beladen der Gespanne halfen und streifte jetzt nur mit einem Schwert bewaffnet durch die Stadt. Er hatte vermutet, dass der Greis, wenn er es so lange geschafft hatte, den Männern des Königs zu entgehen, außerhalb der Stadt sein musste, oder er war bereits geflohen. Kailan wollte seine Suche schon aufgeben, da kam es vor einem der Stände auf der Hauptstraße zu einem kleinen Tumult. Laute Stimmen erlangen und eine Gruppe Männer, unter denen Kailan auch einige des Lord Geiz erkannte, umringten das Fuhrwerk eines Händlers. Dieser beschimpfte einen jungen Diener, der mit hochrotem Kopf Äpfel und Birnen auflaß, die aus seinem Korb gefallen waren. 

“Ihr kommt dafür auf Burschen!”, schimpfte der ergraute Händler, der mit dreckiger Schürze und verschränkten Armen hinter der hölzernen Auslage stand.

Kailan drängte sich etwas nach vorne, wobei einige der umstehenden Männer, die er verdrängte, ihm ärgerliche Blicke zuwarfen. Er bückte sich und half dem Jungen mit dem Obst. Dieser wandte sich schließlich dem Händler zu und förderte einige Münzen zu Tage.

“Hier, reicht das?”

Dabei fiel Kailans Blick kurz auf die Münzen, zwei davon fielen ihm sofort ins Auge, bevor sie den Besitzer wechselten.

Kaiserliche Prägung? 

Es kam zwar vor, dass Händler aus dem Norden damit bezahlten, aber ein Diener aus der Burg? Das war seltsam. Kailan erinnerte sich plötzlich an etwas, das Eola im Wirtshaus gesagt hatte, nachdem sie vom Treffen aus dem Thronsaal gekommen waren.

“Vielleicht hat der Kaiser seine Macht verloren.”

Warum musste er ausgerechnet jetzt daran denken? Ja, etwas war seltsam, nicht nur das in der Stadt kaiserliches Geld unterwegs war, sondern auch mit dieser ausgemachten Jagd auf alte Männer, die begonnen hatte, kurz nachdem das Glückskind in der Burg verschwunden war.

Und jetzt kam sie nicht mehr heraus.  Man hätte sie öffentlich hingerichtet, wenn ein Urteil bereits gefällt worden wäre. Was hatte Eola dem König also gesagt, dass er sie auf der Burg behielt? Das alles passte nicht zusammen. Die Männer verstreuten sich wieder und der junge Diener nickte ihm noch einmal dankbar zu, dann eilte er mitsamt Korb in Richtung der Burg.

Einer Eingebung folgend, ging er Ihm nach, darauf bedacht, so weit zurück zu bleiben, dass er nicht auffiel. Der Kaiser hatte seine Macht verloren und jetzt sucht der König überall auf Ärenfels nach einem alten Greis. Welchen Grund hatte er dafür? Und was hatte das alles mit Eola zu tun? Der Preis für den Greis konnte sie retten, das war es. Es war weit hergeholt und warum sollte der Kaiser, wenn er seine Macht verloren hatte, gerade hierher kommen, in die Festung des Feindes? Der Diener verschwand im Burghof und Kailan verlor ihn in der Menge aus den Augen. Außerdem hatte er bemerkt, dass man auch Ihm folgte. Die Männer des Geiz beobachteten ihn, sie hatten ihn bereits verfolgt, als er seine Suche am Vortag begonnen hatte. Wenn er seiner Vermutung nachgehen wollte, musste er sie vorher loswerden.

Der Burghof eignete sich perfekt, um in der Menge unterzutauchen, also folgte er dem Diener ins Getümmel. Er legte einen Schritt zu, verschwand hinter einem der Wagen und lief dann zu den hohen Mauern der Burg. Er verbarg sich im Schatten eines Erkers und sah den Männern des Lord Geiz lächeln dabei zu, wie sie sich vergeblich nach ihm umsahen. Dann schlenderte er zum Eingangsportal um und verbarg sich in der Menge, bis einer der Diener aus dem hohen Tor geeilt kam. Kailan folgte ihm zu einem der Seiteneingänge in der Burgmauer. Der Junge, ein anderer als der, den er verfolgt hatte, trug einen schweren Eimer, goss ihn in den Rindstein und zuckte zusammen, als Kailan direkt hinter ihm auftauchte. Der Junge machte eine unbeholfene Verbeugung und wollte an ihm vorbei, doch Kailan packte ihn am Kragen und zog ihn in den Schatten der Mauer zurück. Erst starrte der Diener ihn bloß mit aufgerissenen Augen an, dann presste Kailan ihm die Hand auf den Mund, bevor er schreien konnte.

“Ich werde euch nichts tun. Ich will lediglich eine Information von euch. Ich nehme jetzt meine Hand von eurem Mund, aber solltet ihr schreien, brech ich euch etwas. Was meint ihr, einen Finger vielleicht?”

Der Junge schüttelte panisch den Kopf und Kailan nahm seine Hand weg.

“Was wollt ihr wissen, Lord?"

 “Ich bin kein Lord und deshalb habe ich auch keine Angst mir die Finger schmutzig zu machen, hörst du?”

Der Diener nickte schnell.

“Antwortet mir einfach ehrlich und ihr seid um ein paar Silber reicher. Lügt ihr mich an … Naja, wie ich schon sagte, einen Finger oder den Arm oder sonst eins eurer hübschen Knöchlein.”

Wieder nickte der Junge, er war so blass, dass Kailan Angst hatte, er würde gleich in Ohnmacht fallen.

“Keine Panik, Junge. Ich bin nur daran interessiert, eurem König zu dienen, wie ihr. Aber seine Männer suchen an der falschen Stelle, habe ich recht?”

Der Junge verzog irritiert die Stirn.

“Ich weis nicht Herr, wonach suchen sie denn?”

“Wonach alle suchen. Aber ihr braucht nicht mehr zu wissen, als dass ich Lord Geiz gedient habe. Ihr wisst wer das ist?”

Der Junge nickte.

“Der verstorbene Lord. Mein Beileid Herr.”

“Nicht doch, mein Herr war ein unangenehmer Mensch. Es ist nicht schade um Ihn.”

“Natürlich. Ich versteh euch.”

Der Bursche lächelte tatsächlich und Kailan klopfte ihm auf die Schulter.

“Seht Ihr, wir verstehen uns doch.”

Dann griff er zu und verstärkte den Griff um sein Schlüsselbein noch. 

“Wie heißt ihr Bursche?”

“Vengen, Herr.”

“Hört zu Vengen. Ihr müsste etwas für mich in Erfahrung bringen, für den König.”

Der Junge nickte eifrig.

“Für den König.”

“Gerade ist einer von euch vom Markt gekommen, mit Obst, vermutlich für irgendeine hohe Lady.”

“Einer von uns?”

Kailan seufzte, natürlich musste er an einen Vollidioten geraten.

“Ein Diener, noch ein Stück jünger als ihr. Er hat mit Gold bezahlt.”

Der Junge nickte beflissen.

“Mit Gold des Königs. Die Früchte waren für Lady Eirina, sie bekommt beim Mahl keinen Bissen herunter. Ich glaube es liegt an ihrem Lord, Herr.”

“Mich interessiert nicht, für wen die Früchte waren, Junge.”

“Er hat mit Gold des Kaisers bezahlt.”

“Mit Gold Herr, ja.”

Der Junge schien verwirrt.

“Wie heißt der Junge mit den Früchten.”

“Tepp Herr.”

“Ich will, dass ihr Tepp beobachtet, ich will wissen, wo er hin geht, was er macht, ich will wissen, wann er schläft und wann er scheißt und frisst. Ich will jedes kleinste Detail. Und wenn er sich nur in der Nase bohrt, will ich es wissen, habt ihr verstanden Vengen?”

Der Junge nickte, dann verzog er erneut irritiert die Stirn.

“Ich muss allerdings noch arbeiten, Herr. Die Lady Tahlwynn will jeden Morgen frisches Wasser und am Abend und Mittags und auch am Nachmittag. Eigentlich soll das Wasser immer frisch sein Herr.”

Kailan fuhr sich entnervt über das Gesicht. Dann wischte er den Schweiß am Kragen des Jungen ab.

“Nun gut Junge. Ihr beobachtet ihn so gut es eben geht und wenn ihr keine Zeit dafür habt, findet ihr jemand anderen, der ihn für euch im Blick behält.”

“Ja, Herr. Natürlich, Herr.”

“Und sollte ich davon erfahren, dass ihr meinen Namen herum erzählt, werde ich euch die Nase brechen, verstanden?”

Wieder nickte der Junge beflissen.

“Wie war euer Name noch einmal?”

Kailan musste lächeln.

“Ich heiße Finn, Finn von Geiz Männern, der mit dem einen blinden Auge.”

“Das tut mir leid Herr.”

“Was?”

“Das mit eurem Auge.”

“Achso, ja, danke. Ihr könnt jetzt gehen, Vengen. Lady Tahlwynn braucht bestimmt wieder frisches Wasser.”

Der Junge nahm seinen Eimer auf und nickte.

“Ja, sie hatt es immer gerne frisch, selbst wenn ich es gerade erst geholt habe.”

Er ließ kurz die Schultern hängen, dann beeilte er sich, zurück zur Burg zu kommen. Auf halbem Wege schien ihm eingefallen, dass er ja das Silber gar nicht erhalten hatte, das Finn ihm versprochen hatte. Aber Kailan war bereits in der Menge untergetaucht.



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