Der Brief
Als Kailan ins Lager zurückkehrte, sprach Lord Kamm gerade mit einem der Männer.
Der Ausdruck in seinem Gesicht, verhieß nichts Gutes.
“Die Späher sind zurück”, erklärte er Kailan, als sie sich ins Zelt des Lords zurückgezogen hatten.
“Was haben sie in Erfahrung gebracht?"
Lord Kamm schüttelte den Kopf.
“Ich weiß es nicht, aber der junge Lord war gar nicht erfreut vom Tod seines Vaters zu hören. Er ist gerade beim König.”
Kailan seufzte.
“Habt ihr wenigstens erfreulich Nachrichten für mich?”, fragte der Lord ihn dann und Kailan zuckte mit den Schultern.
“Ich kann es noch nicht genau sagen. Ich meine eine Spur gefunden zu haben, aber wenn wir Pech haben ist sie bereits kalt.”
Der Lord nickte und ließ sich in einen Stuhl fallen. Er fuhr sich mit der Hand über das erschöpfte Gesicht, dann beugte er sich vor und legte die Fingerspitzen aneinander. Mit den Zeigefingern tippte er dabei nachdenklich gegen seine Unterlippe.
“Geht dieser Spur trotzdem nach. Ich will nicht alles auf diese eine Karte setzen, aber das Glück des Mädchens färbt wohl leider nicht auf uns ab. Wir müssen damit rechnen, dass … “
Wie um seine Befürchtungen zu bestätigen, schalten plötzlich Rufe durchs Lager. Es folgten Geräusche wie wenn Waffen gezogen wurden und Kailan folgte seinem Lord vors Zelt. Die Männer hatten sich davor positioniert und Gardisten des Königs standen ihnen in ordentlichen Reihen gegenüber. An ihrer Spitze, Lord Fremm, der die Hand erhoben hatte, darin eine aufgerollte Schrift mit dem Siegel des Königs. Kamms Männer hatten die Schwerter gezogen und einer von ihnen, ein Bastard des Lords mit dem Mut eines Stiers und dem Anstand einer Kröte, hielt dem Leutnant die Klinge entgegen.
“Pollen! Nehmt das verfluchte Schwert runter”, befahl sein Lord wütend und langsam ließ Pollen die Waffe sinken.
“Dies ist ein Haftbrief des Königs. Eurem Lord wird der Verrat vorgeworfen. Steht zurück oder sterbt mit dem Verräter.”
Lord Kamm trat vor und Kailan folgte ihm, seine Hand ruhte auf dem Schwertknauf.
“Was hat das zu bedeuten, Leutnant? Ich habe dem König stets loyal gedient. Dieser Aufmarsch ist unnötig. Man hätte mich einfach darum bitten können in die Burg zu kommen und ich wäre dem Befehl meines Königs ohne mit der Wimper zu zucken gefolgt. Das hier ist eine Beleidigung.”
Lord Fremm rollte den Haftbrief wieder ein und gab seinen Männern ein Zeichen. Sie umstellten Kamm und Kailan warf seinem Lord einen kurzen Blick zu.
“Bleibt zurück Manner”, befahl Kailan.
“Ich bin mir sicher, wir können diesen Irrtum leicht aus der Welt schaffen. Habe ich nicht recht Lord? Leutnant. Hier und Heute muss deswegen kein Blut vergossen werden.”
“Das liegt ganz an eurem Lord”, gab Fremm zurück und die Gardisten des Königs nahmen Lord Kamm in ihre Mitte.
“Steht zurück und vielleicht entgeht ihr dem Urteil, dass eurem Lord bevorsteht.”
Lord Kamm nahm den Waffengürtel ab und reichte ihn Kailan.
“Nun gut, Lord Fremm. Ich werde mit euch kommen, aber meinen Männern wird nichts geschehen.”
Lord Fremm nickte, dann führten sie den Lord ab. Kailan sah ihnen hinterher und knirschte mit den Zähne. Es gab Pläne, was geschehen würde, falls ihr Lord je fiel, ob nun als Verräter oder im Kampf, doch noch war es nicht soweit und er musste dafür sorgen, dass die Männer und erst recht Pollen, keine Dummheiten begangen, solange ihr Lord in Gefangenschaft war.
“Zurück an die Arbeit ihr faulen Hunde,” bellte er und die Männer steckten zwar ihre Waffen weg, doch keiner folgte seinem Befehl.
“Für einen König, der unseren Lord beleidigt? Niemals”, rief Pollen und Kailan warf ihm einen bösen Blick zu.
“Denkt ja nicht, ich würde diese Verhaftung einfach hinnehmen. Aber solange wir auf Ärenfels sind, werden wir uns an die Gesetze des Königs halten. Habt ihr verstanden, ihr hirnlosen Ochsen? Ihr wollt nicht für ihn arbeiten? Dann tut es für euren Lord. Ob er nun schuldig gesprochen wird oder nicht, wir kehren mit den Männern des Königs nach Riedhalm zurück. Also steht hier nicht so herum, sondern fangt an zu packen.”
Jetzt kam endlich Bewegung in die Männer und Kailan rieb sich die Hand, die er im Griff ums Schwert zu sehr angespannt hatte.
“Sellen, Taub, Pollen! Zu mir.”
Damit wandte er sich um und trat zurück ins Zelt des Lords. Er legte Kamms Schwert auf dem Stuhl ab, auf dem er gerade noch gesessen hatte, dann wartete er, dass die Männer, die er gerufen hatte, hinter ihm eintraten.
“Das ist doch ein riesen Haufen Scheiße”, beschwerte sich Pollen lautstark.
“Mein Vater ist der treuste Lord der Hügelländer. Und diese Hure von einem König lässt ihn Scheiße fressen.”
“Es ist wegen dem Mädchen oder Kailan”, fragte Sellen und Kailan nickte. Er würde den Männern nichts vormachen.
“Also ist sie tatsächlich eine Spionin?”, fragte Taub, einer der älteren Krieger, der Lord Kamm diente, seit dieser ein kleiner Hänfling gewesen war.
“Ich glaube kaum”, gab Kailan zu. “Aber es besteht kein Zweifel, dass der König das denkt.
Ich will nicht, dass die übrigen Männer das erfahren, verstanden?”
Dabei warf er Pollen einen besonders strengen Blick zu.
“Wieso? Sie haben es verdient zu wissen warum …”
“Pollen! Ich sage das kein zweites Mal. Sie werden nichts davon erfahren, habt ihr mich verstanden! Sonst knüpfe ich euch eigenhändig auf. Und glaubt mir, ich würde keine Sekunde zögern, nur weil ihr der Bastard unseres Lords seid.”
Pollen stieß ein verächtliches Grunzen aus, sagte jedoch nichts mehr.
“Sehr gut. Dann hört mir jetzt ganz genau zu. Wir haben nur eine Chance, die Unschuld unseres Lords zu beweisen und ich fresse mein eigenes Schwert, wenn es uns nicht gelingen sollte.”
Pollen konnte froh sein, dass man mit Bastarden in den Hügelländern einigermaßen glimpflich verfuhr. Die Könige des Nordens hatten früher jeden ihrer unehelichen Söhne ermordet, wenn man den Geschichten glauben schenkte. Zu einer Zeit, in der der Kaiser seine Macht noch nicht so stark gefestigt hatte, dass er lediglich mit dem kleinen Finger winken musste, um ein Königreich untergehen zu lassen. Damals war die Thronfolge noch wichtiger Bestandteil seiner Macht gewesen. Ein Königreich, in dem sich Bastarde laufend um die Erbfolge stritten, fiel schnell ins Chaos. Der König hatte viele seiner Bastarde zu Lords ernannt und sie somit von seiner Thronfolge ausgeschlossen. Und der Bastard eines Lords hatte gar keinen Anspruch, da der König seine Lords benannte, ohne auf die Erbfolge großen Wert zu legen. Das war vermutlich auch der Grund dafür, dass Pollen so nervös war. Er fürchtete, seine Stellung in Riedhalm zu verlieren.
Dann erklärte Kailan den Männern seinen Plan und als er fertig war, schwieg selbst Pollen.
“Das klingt weniger nach einem Plan als vielmehr nach Selbstmord, Kailan.”
Sellen war tatsächlich der Erste, der seine Stimme wiederfand.
“Aber ich bin dabei”, sagte er dann und lächelte. Dieser verliebte Tor, dachte Kailan.
“Wenn der Kaiser wirklich auf Ärenfels sein sollte, dann kann es gut sein, dass er sich in der Burg versteckt”, gab Taub zu. "Die Burg ist älter als das Reich selbst. Ich habe gehört, in alter Zeit sollen Tunnel in den Berg geschlagen worden sein. Der Kaiser ist alt genug, um bei ihrer Erbauung dabei gewesen zu sein.”
Kailan nickte.
“Das habe ich auch gehört. Wenn es Pläne gibt, die etwas über diese Tunnel verraten, sind sie in der Burg.”
"Und wie zum Schwanz eines Ochsen sollen wir da reinkommen?", fragte Pollen.
“Auf demselben Weg wie der Kaiser selbst, mit Gold.”
Pollen schnaubte verächtlich.
“Er war ein Greis, den niemand verdächtigt hat. Wir sind bewaffnet und überaus verdächtig.”
“Deshalb werde ich alleine gehen. Ich suche die Pläne und hoffentlich finden wir einen Eingang, der außerhalb der Burg liegt.”
“Hätte der Kaiser nicht diesen Weg nehmen können, statt mit Gold zu bezahlen? Immerhin hat er damit riskiert, gefunden zu werden.”
Kailan nickte bedächtig mit dem Kopf.
“Die Möglichkeit besteht, dass alle Ausgänge die außerhalb der Burg liegen versiegelt wurden, oder dass sie schlicht nicht existieren. Ich halte es allerdings für möglich, dass der Kaiser aus einem ganz anderen Grund sein Gold in Umlauf bringt.”
“Was soll das heißen?”, schnaubte Pollen.
“Er will gefunden werden”, erklärte Taub und Kailan nickte.
“Warum sollte er? Die Tunnel sind das perfekte Versteck, er bekommt mit, was in der Burg passiert und sie bieten ihm etliche Möglichkeiten sich zu verstecken”, gab Sellen zu bedenken.
“Es gibt etwas, das mir keine Ruhe lässt, seit ich diese Theorie verfolge. Wenn der König wirklich nach dem Kaiser sucht, warum hat er dann nicht bereits jemanden in die Tunnel geschickt? Er muss von ihnen wissen, die Burg ist schließlich seit Generationen im Besitz seiner Familie.”
Sellen zog die Stirn kraus, Pollen verzog wütend die Stirn, nur Taub schien seinem Gedankengang folgen zu können.
“Es muss einen Grund geben, warum er die Möglichkeit von Beginn an ausgeschlossen hat.”
Pollen stöhnte entnervt und griff nach dem Schwert seines Vaters.
“Ich schwöre Kailan, wenn du nicht bald zur Sache kommst, werd ich noch eine Dummheit machen.”
“Das wäre ja ganz was Neues", scherzte Sellen.
“Klappe Junge. Ihr habt keine Ahnung, was es heißt, ein Bastard zu sein. Wenn sie meinen Vater tatsächlich hinrichten, werden sie mich gleich mit entsorgen.”
Dabei deutete er mit dem Schwert auf den Jungen. Sellens Vater war wie Kamm einer der Lords der Hügelländer, der den Herren von Riedhalm noch einen Gefallen schuldete, als Anzahlung hatte Sellens Vater ihm seinen Sohn als Knappen überlassen. Kailan widerstand dem Drang Pollen für seine Dreistigkeit eine Ohrfeige zu verpassen und seufzte dann.
“Wenn der König von Beginn an ausgeschlossen hat, dass der Kaiser sich in den Tunneln versteckt, sind sie vielleicht ganz verschüttet, vielleicht gibt es auch Fallen oder Zauber, die den Zugang versperren. Vielleicht musste der Kaiser sich dorthin zurückziehen, um den Häschern des Königs zu eingehen. Wenn ich mit dieser Vermutung richtig liege, sitzt er dort unten fest. Vielleicht ist er so verzweifelt, dass er sein Gold in der Burg verteilt, damit man ihn dort unten heraus holt. Es könnte gut sein, dass er keinen anderen Ausweg mehr sieht, als sich dem König zu stellen. Er hat Nutzen für Lord Eolin, er ist in diesem Krieg von entscheidender Bedeutung, also wird man ihn am Leben lassen.”
“Das waren aber einige “Vielleichts”. Es passt zwar alles halbwegs zusammen, aber ist trotzdem noch sehr weit hergeholt”, gab Taub zu bedenken und Kailan nickte.
“Aber es ist meine einzige Theorie und vielleicht die einzige Chance, unseren Lord zu retten.”
~
Drei Küchlein später, hatte Krümel es sich mit vollem Bauch in ihrem Schoß gemütlich gemacht und Eola saß dort und betrachtete das Gold des Kaisers. Hatte Ihr Glück hier etwas seine Finger im Spiel? Es wäre nicht das erste Mal, dass ihr die Lösung für ein Problem in die Hände fiel, ohne dass sie irgendetwas dafür tun musste. Die Männer des Königs hatten den Kaiser immer noch nicht gefunden und das hieß, er war entweder geflohen und längst über alle Berge oder aber er versteckte sich so gut, dass die Männer des Königs ihn nicht fanden. Er hatte gesagt, er blieb in Eolas Nähe, um sie im Auge zu behalten. Sie wäre die größte Bedrohung für sein Reich. Wenn er das wirklich glaubte, war er nicht geflohen und es wäre großes Glück, wenn er sich tatsächlich ganz in der Nähe aufhielt. Und ihr Glück verließ sie nie. Vielleicht führte sie dieses Tierchen direkt zu ihm. Sie kraulte dem Kleinen hinter dem Ohr und er ließ ein leises Schnurren vernehmen. Doch solange Krümel schlief, würde er sie nirgendwo hinführen. Außerdem wollte sie noch herausfinden, was für eine Art Tier Krümel überhaupt war. Also verfrachtete sie den Kleinen behutsam zurück in sein Nest und stieg die Treppe hinunter. Zurück im Bücherzimmer, lief Eola zum Bücherregal und suchte nach Enzyklopädien über heimische Tierarten. Sie fand eine bereits ergraute Ausgabe eines Tierführers. Es enthielt kleine Zeichnungen von Tieren und dazugehörige Beschreibungen und doch dauerte es einige Zeit, bis sie die richtige Seite gefunden hatte.
“Dämmerfuchs, der”, las sie.
“Der Dämmerfuchs oder auch Goldwiesel genannt ist eine Tierart der Hügelländer. Sie verfügen über ein äußerst gutes Gehör und ihre Vorderpfoten können beinahe so gut zugreifen wie die eines Menschen. Der Dämmerfuchs ist damit in der Lage zu klettern, obwohl er sich auch gerne in Bodennähe aufhält. Sie lieben Höhlen, bauen aber auch Nester in luftiger Höhe. Warum sie das tun, ist den Gelehrten weiterhin ein Rätsel, ziehen sie ihre Jungen doch in Tunneln unter dem Boden auf. Sie sind äußerst neugierig und manch einer sagt ihnen eine überdurchschnittliche Intelligenz nach. Sie sind vor allem bei Goldsuchern sehr beliebt, da sie ein Auge, und manche behaupten auch ein Näschen, für Gold haben.”
Eola musste lächeln. Ihr Glück hatte sich wieder einmal selbst übertroffen. Sie würde Krümel behalten, beschloss sie.
“Diese Fähigkeiten haben jedoch ebenfalls dafür gesorgt, dass sie sehr selten geworden sind”, las sie weiter.
“Ihre Affinität für Gold macht sie zu beliebter Ware bei Händlern, hat jedoch auch dafür gesorgt, dass sie in freier Wildbahn kaum noch vorkommen. Auch als exotische Haustiere von Adligen sind sie sehr beliebt, sagt man ihnen doch nach, dass sie Glück bringen.”
Der abgebildete Dämmerfuchs sah Krümel sehr ähnlich, obwohl die Streifen auf dem Fell dünner waren und die Ohren etwas kleiner. Eola schob das Buch zurück ins Regal und beschloss erst einmal etwas zu essen, bevor sie Krümel befragte, woher er das Gold hatte. Hoffentlich verstand er sie überhaupt. Als sie auf dem Weg zur Küche an einer der Türen vorbeikam, hinter der sie noch nicht nachgeschaut hatte, vernahm sie Stimmen. Neugierig geworden, blieb sie stehen und horchte am Holz.
“Dann ist diese unsägliche Jagd endlich zu Ende?”, fragte Lord Hagen. Dann erklang die Stimme der Königinmutter.
“Mein Sohn ist außer sich. Er hat den Lord verhaften lassen, was dafür spricht, dass es auch der Zauberin und dem Mädchen bald an den Kragen geht. Dieser Brief ändert einiges und der König hat der Geschichte von Anfang an nicht vertraut.”
Eola stockte der Atem. Es war ihr Glück, das dafür gesorgt hatte, dass sie ausgerechnet jetzt hier vorbeikam, kein Zweifel, aber was bezweckte es damit, sie erneut in Schwierigkeiten zu bringen?
“Ihr wirkt nicht überzeugt Lady?”, fragte Lord Hagen.
Kurz blieb es still, dann antwortete die Königinmutter.
“Es ergibt keinen Sinn, warum sollte der Kaiser ausgerechnet jetzt so etwas tun.”
“Ihr glaubt, es sind Lügen, um die Magier in Schach zu halten?”
“Und um zu verhindern das sie zu uns überlaufen”
“Dann müsst ihr den König überzeugen, nicht noch mehr Zeit verstreichen zu lassen. Wenn sie zu solch einer List neigen, haben sie Angst, wir könnten tatsächlich gewinnen.”
“Das denke ich auch. Aber mein Sohn ist noch jung. Er lässt sich zu sehr von seinen Gefühlen leiten. Wenn er Bajka und diesem Mädchen nicht vertraut, kann ich wenig daran ändern.”
Eola hatte genug gehört. Sie musste Bajka warnen. Der Zauberin würde mit Sicherheit etwas einfallen. Ihr Glück war nicht dazu in der Lage, Dinge ungeschehen zu machen. Yahres Tod und die Vorkommnisse auf Madiskat hatten sie das gelehrt. Es war außerdem nicht dazu in der Lage, das Unmögliche möglich zu machen. Vielleicht war dies ihre einzige Chance, etwas gegen diesen Brief zu unternehmen. Sie lief den Gang in Richtung Bajkas Arbeitszimmer hinab und blieb in der offenen Tür stehen. Die Zauberin war nicht hier, ihr Zimmer beinahe leergeräumt. War sie bereits zu spät?
Nein, die Königinmutter hatte gesagt, es würde ihnen erst noch an den Kragen gehen, nicht dass Bajka bereits verhaftet worden war.
“Wo ist sie?”, zischte sie einem vorbeikommenden Diener zu.
“Im Erdgeschoss, sie wollte mit dem König sprechen, aber er ist immer noch bei den Spähern.”
“Die Späher des Lord Geiz? Seit wann sind sie wieder da?”
“Seit einigen Stunden, Herrin.”
Sie nickte, der Diener machte eine kurze Verbeugung und ging dann weiter. Eola lief die Treppe hinab ins Erdgeschoss und erblickte Bajka im Gespräch mit einer der Wachen.
“Ich muss mit ihm sprechen. Warum wurde ich nicht informiert, dass die Späher zurück sind?”
Die Wache zuckte mit den Schultern.
“Ich weiß es nicht, Herrin. Der König hat befohlen, niemanden einzulassen.”
“Ich bin nicht irgendjemand Junge. Lasst mich sofort vorbei oder ich verwandel euch in eine Ziege und setze euch den Lords zum Abendessen vor.”
Der Junge schluckte, dann erblickte die Zauberin Eola und runzelte die Stirn.
“Es tut mir leid, Herrin. Ich kann nicht, bitte verwandelt mich nicht in eine Ziege.”
“Das wird noch Folgen haben.”, zischte sie, dann rauschte sie mit erhobenem Kinn den Gang hinunter und packte Eola im Vorbeigehen am Arm.
“Aua, nicht so doll”, beschwerte sie sich. Die Zauberin zerrte sie die Treppe hinauf und in ihr Arbeitszimmer. Dann warf sie die Tür hinter ihr ins Schloss, legte die Hand auf das Holz und murmelte etwas. Runen leuchteten auf und brannten sich ins Holz.
"Irgendetwas stimmt nicht”, murmelte sie und Eola nickte.
“Ich weiß. Deshalb habe ich euch gesucht. Die Späher … “
“Still, Kind”, zischte Bajka. “Ich muss nachdenken.”
“Es sind die Späher, sie haben irgendeinen Brief abgefangen.”
Jetzt horchte die Zauberin doch auf.
“Der König denkt, wir haben gelogen. Ich glaube, sie haben Lord Kamm verhaftet. Die Königinmutter hält es allerdings für eine List der Oligarchen. Bajka fuhr sich nervös mit den Fingern durchs Haar.
“Das ist nicht gut. Wir haben nicht viel Zeit.”
Bajka ging zum Schreibtisch hinüber und zog einen Bogen Briefpapier aus der Schublade.
“Was habt ihr vor.”
“Ich muss wissen, was in diesem Brief steht.”
Die Zauberin entkorkte das Tintenfass und nahm die Feder zur Hand. Dann schnürte sie einen der Beutel vom Gürtel und reichte ihn Eola.
“Bringt mir das Schälchen von der Anrichte und das Zündholz. Dann will ich, dass ihr das Kraut darin verbrennt.”
Eola nickte und schüttelte einige der Blätter auf die Handfläche, die im Beutel waren. Sie roch daran. Sofort zog ihr der Duft in die Stirn und sie geriet ins Schwanken.
“Seit vorsichtig Kind, diese Kräuter sind sehr potent.”
Eola ging zur Anrichte, nahm die Schale und kehrte damit zum Schreibtisch zurück.
“Was ist das?”, fragte sie, als das Kraut im Schälchen langsam zu schwelen begann.
“Weißfarn. Es öffnet den Geist für gewisse Strömungen, wenn man denn weiß wie wonach man suchen muss.
“Bringt ihr es mir bei?”
“Vielleicht, irgendwann. Jetzt seid still. Ich muss mich konzentrieren.”
Eola widerstand dem Drang, weiter Fragen zu stellen und setzte sich der Zauberin gegenüber.
Der scharfe Geruch der Kräuter erfüllte den Raum und benebelte sie. Die Augen der Zauberin schlossen sich erst, dann flattern ihre Lieder und als sie ihre Augen wieder öffneten, war da nur noch weiß, statt dunkelblaue Pupillen. Die Stirn der Zauberin bildete Falten, dann begannen sich ihre Lippen stumm zu bewegen. Langsam erst kratzte die Feder übers Papier, dann immer schneller und schließlich flog die Hand der Zauberin übers Papier. Ihre Bewegungen waren so schnell, das Eola Angst hatte, sie könnte das Tintenfass umstoßen. Doch ohne auch nur einen Tropfen zu vergießen tauchte Bajka die Feder immer wieder ein, sobald die Schrift zu blass wurde. Eola fragte sich, woher sie das wusste, ohne offenbar etwas sehen zu können. Dann setzte sie die Feder ein letztes Mal an, doch ihre Hand schwebte nur eine Sekunde über dem Papier, das jetzt mit einer filigranen Handschrift bedeckt war.
Bajka blinzelte, dann schloss sie die Augen und als sie Eola das nächste Mal ansah, blickten ihr wieder feucht-blaue Pupillen entgegen. Schweißperlen standen der Zauberin auf der Stirn und ihr Gesicht schien ein wenig blasser als zuvor. Dann sank sie erschöpft im Stuhl, lächelte jedoch. Sie deutete mit zitternder Hand auf den Brief.
“Mögt ihr vorlesen? Ich brauche eine Minute, um mich zu erholen.”
Die Kräuter im Schälchen waren zu Asche verglüht und Eola schob sie beiseite. Dann griff sie nach dem Papier und begann zu lesen.
“An den Oligarchen in Talstadt, eure Heiligkeit den Zikan.
Der Inhalt dieser Nachricht sei streng vertraulich.
Die List unseres Kaiser ist wahrlich unübertroffen. Ich wende mich im guten Glauben an euch, dass die Magier der Akademie euer Wort im Vertrauen vernehmen. Es mehren sich die Gerüchte, unser Kaiser sei gefallen. Sei doch das Schwinden seiner Nebels ein Zeichen für seine Feinde sich zu erheben. Doch sei euch versichert, seine Macht war nie stärker.
Er verweilt in der Hauptstadt und wird seine Nebel erheben, wenn die Zeit reift.
In seiner unendlichen Weisheit ersann er den Plan, seine Feinde herauszufordern.
Sie sollen nur kommen, sich in Siegeskraft suhlen. Sie trügt.
Lobpreiset seine Weitsicht und allwissende Macht.
"Hochachtungsvoll, Nebellord Iorg.”
Als sie geendet hatte, schwieg die Zauberin und Eola traute sich nicht etwas zu sagen.
“Interessant”, war alles, was Bajka schließlich sagte und Eola ließ den Brief sinken.
“Das sind dreiste Lügen”, beschwerte Eola sich und die Zauberin nickte.
“Nebellord Iorg ist jedoch niemand, den wir unterschätzen dürfen. Wenn er in der Hauptstadt ist, wird es beinahe unmöglich, sie ohne Belagerung zu nehmen. Er wird keinen Schritt weichen und wenn er dafür die gesamte Bevölkerung der Stadt opfern muss.”
Eola stieß leicht Luft durch die Nase aus.
“Aber warum glaubt der König diesen Worten?”
Bajka entfachte ein Zündholz und hielt das Stück Papier an die Flamme, dann ließ sie es in die Schale fallen und sah dabei zu, wie es verbrannte.
“Er ist noch jung und die Angst, in eine Falle zu laufen, hält sein Herz im Griff. Ich habe so etwas befürchtet. Es ist jetzt wichtiger denn je, dass wir den Kaiser endlich finden. Es wird ihm die Zuversicht geben, die er braucht.”
“Warum lügt der Lord in diesem Brief?”, fragte Eola dann und deutete auf die Asche im Schälchen.
“Er will die Magier der Akademie in Sicherheit wiegen. Das macht es schwerer für mich, sie auf unsere Seite zu ziehen, aber nicht unmöglich.”
Dann stand die Zauberin auf und war wieder ganz die Alte. Alle Erschöpfung, in die sie der Zauber versetzt zu haben schien, war wie weggeblasen.
“Wie habt ihr es gemacht? Das mit dem Brief?”
“Bei Zeiten, Kind. Ich muss mit der Königinmutter sprechen. Sie ist die Stimme der Vernunft in diesen Mauern. Der König wird auf sie hören. Ihr bleibt zur Sicherheit hier. Ich werde das Siegel an der Tür von außen wieder aktivieren. Solange ich am Leben bleibe, wird es dafür sorgen, dass sie nicht geöffnet werden kann. Zumindest nicht ohne einen gewissen Kraftaufwand.”
Kurz runzelte sich die Stirn der Zauberin, doch dann war die Unsicherheit wieder von ihren Zügen verschwunden. Eola stöhnte.
“Muss das sein? Ich werde mich hier zu Tode langweilen.”
Bajka warf ihr einen strengen Blick zu.
“In meinem Schlafzimmer liegen noch ein paar Bücher, nichts dem ich einen besonderen Wert zumesse, aber es sollte euch die Zeit vertreiben. Wenn alles gut geht, brauche ich nicht lang.”
Damit wandte sie sich um und verließ das Arbeitszimmer. Die Tür fiel hinter ihr ins Schloss und die Runen auf der Tür glühten kurz auf, bevor sie wieder erloschen.
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