Kapitel 4: Nebel einer längst vergangenen Zeit.
“Ihr seht müde aus.”
Die Stimme des Kaisers war wie das Flüstern von Schatten, wie Reif, der sich auf kalte Fenster legte und das Echo, das von den Wänden hallte, sirrte Eola in den Ohr.
“Müde und alt. Lasst mich euch endlich von dem Fluch erlösen, den ihr euer Leben nennt.”
Eola wartete nicht, bis sich dort unten etwas entwickelte, das sie eh nicht beeinflussen konnte. Oine zählte auf sie und was auch immer er im Heiligtum zu finden glaubte, es war ihm wichtiger als sein eigenes Leben.
Sie suchte hektisch die Wände ab, doch da war meine weiteren Vertiefung, kein Klicken als sie über die Wände fuhr. Nichts das ihr verriet wie der nächste Schritt des Mechanismus aussah, der sie zum Heiligtum führte.
“Wann habe ich je dem Schicksal getrotzt, alter Freund. Ihr seid es, der sich dem entziehen will, was bereits in den Sternen geschrieben steht.”
Sterne!
Fuhr es Eola durch den Kopf. Oine hatte im Tagebuch über sie geschrieben, die Drachen waren Sterne und sie erkannte sie auch auf den Wandbildern an der Decke.
Nutze deinen Verstand
Hatte Oine gesagt. Die Hexenmeister waren geniale Astronomen gewesen. Sie hatten Voraussagen getroffen, die exakter waren, als alles, was die modernen Wissenschaft des Kaisers je für möglich gehalten hätten.
“Die Zukunft meiner Reiche liegt allein in meiner Hand und niemand, nicht einmal eure Herren, Oine, werden sich mir in den Weg stellen.”
Fieberhaft suchte Eola nach Sternen, die sie von hier erreichen konnte. Sie war sich sicher, dass der Lichtstrahl irgendwo nach hier oben gefallen war.
“Ihr ward schon immer gut darin, mich falsch zu verstehen, alter Freund. Dabei wollte ich euch nie etwas böses. Ihr könnt euren eigenen Tod nicht verhindern, das kann keiner von uns.”
So wie Eola ihre Großmutter nicht hatte retten können. So wie sie nicht einmal sich selber würde retten können. Sie war zu klein, erreichte keinen der Sternen, die hoch über der Balustraden standen, sich über die Decke erstreckten und ihr kalt entgegen funkelten. Sie blieben unberührt von ihrem Dilemma, blickten stumm auf sie herab.
Sie sah sich nach etwas um an dem sie hinauf klettern könnte. Da waren die Säulen auf dem Geländer und sie machte sich daran ihrem schmalen Körper auf die steinernen Balustrade zu schieben.
Tief unter ihr tat sich die Halle auf, der Kaiser umgeben von seinen Soldaten, die Oine jetzt langsam umringten.
“Und ihr seid bereits seit langem Tot, Freund. Ihr starbt als Verräter am Strick. Und heute töte ich den Schatten der aus eurem Grabe empor stieg. Ich schicke euch in die Dunkelheit zurück, aus der ihr einst kamt.”
Eola zwang sich, den Blick anzuwenden, zu den Sternen hinauf. Über ihr stand der äußere Gürtel der Galaxis, Sterne die dem vergessenen Kontinents zugeordnet wurden. Und hell und rot mitten unter ihnen, der rote Riese. Ihr Schützer und stiller Begleiter. Und doch entzog er sich weiterhin ihrer Berührung.
Sie sah erneut zu Oine hinab, der jetzt langsam die Arme hob. Schwache Streifen aus Licht sammelten sich um seine Finger und spiegelten sich in den dunklen Rüstungen der Soldaten. Und jetzt erkannte Eola warum sie Gasperlit trugen. Feine Strahlen aus Licht schossen ihnen entgegen, prallten jedoch ohne Effekt vom Metall ab. Sie schützen die Krieger vor den Einflüssen der Magie, die der Magier in ihrer Mitte wirkte. Auch der Kaiser hob die Hände. Und jetzt wallte Nebel durch das offene Portal.
Dann wandte Oine sich jedoch um und schoss sein Licht auf den Bronze-Altar. Kurz blitzte der Lichtstrahl erneut auf, der ihr den Weg zum Heiligtum wies und bestätigen Eolas Vermutung. Das Licht traf den roten Riesen über ihr, dann verblasste es und die kühle Stimme des Kaisers hallte durch die Zitadelle.
“Tötet ihn!”
Eola sah hilflos dabei zu, wie die Krieger den Magier einkreisten und ihre Schwerter zogen. Vorsichtig näherten sie sich dem Gesandten, der ihnen ebenso hilflos ausgeliefert war.
So würde es also zu Ende gehen.
Dachte Eola.
Dem Himmel so nah und doch so fern.
“Oine”, dachte sie verzweifelt.
“Ich brauche seine Hilfe.”
Doch Oine wurde von den Soldaten des Kaisers in Schach gehalten, er wich den Klingen geschickt aus, schlug sie mit bloßer Hand beiseit, doch der Kaiser kam immer näher. Nebel stieg in der Zitadelle auf, verhüllte die Säulen und Wandbilder und trug einen Duft nach Schwefel und Fäulnis heran.
Eola begannen die Augen zu tränen und sie konnte kaum noch sehen was unten geschah. Sie blickte erneut zur Decke hinauf. Nebelschwaden begannen die Bilder zu verschleiern. Bald hatte sie den roten Riesen aus den Augen verloren. Sie schob sich weiter in Richtung einer der Säulen, so glatt wie polierter Marmor keine Spalte, kein Vorsprung an dem sie sich hoch ziehen konnte.
Ihre Muskeln zitterten. Das Klirren von Klingen auf Stahl drang gedämpfte an ihr Ohr. Eola wusste nicht, ob es überhaupt ausreichete den Stern einfach nur zu erreichen, aber alles was passiert war, seit sie Madiskat erreicht hatte, schien sie an diesen Ort geführt zu haben, zu diesem Punkt ohne Wiederkehr.
Sie musste Vertrauen haben. In sich selbst, nicht allein ihr Glück. Also tat sie das einzige, das ihr einfiel. Sie ging in die Hocke, hielt die Luft an, wie eine Katze bereit zum Sprung und dann stieß sie sich unter dem Geländer unter ihren Füßen ab.
Ihr Flug war kurz und sie streifte die Decke nur flüchtig, doch es reichte aus. Der Stern senkte sich etwas unter ihrer Berührung hinab und dann… fiel sie.
Luft sirrte Eola in den Ohren, das Fauchen von Wind im Nebel, wie kleine Drachen.
Sie drehte leicht den Kopf, sah Oines blasses Gesicht, von feinen Schnitten übersät. Dann trat die Klinge des Kaisers aus seiner Brust, zerriß den Nebel um ihm herum. Sie landete gegen ihre Erwartungen sanft auf den harten Boden und trotz der tödlichen Verletzung stahl sich ein Lächeln auf Oines Gesicht.
Er hatte sie gerettet und sich selbst damit verdammt.
Ihr Blick glitt zur Decke und ein entferntes Rumpeln drang durch den Nebel.
Das Dach über ihr tat sich auf und gab den Blick auf die Sterne frei.
So fern und doch zum Greifen nah.
Als wäre die Nacht bereits über Madiskat herein gebrochen. Und die Stadt am Reihwasser schwieg.
Der rote Riese stand direkt über ihr und verstand sie, was sie sah. Der Mechanismus hatte funktioniert und verstärkte ihren Blick in den Himmel. Der rote Riese wurde größer und sein Licht bündelte sich in der Kuppel über ihr.
Die Wandbilder oberhalb der Balustraden taten sich auf und alle Viere von sich gestreckt lag sie da und sah dem gigantischen Fahrwerk dabei zu, wie es Teile der Wände ineinander schob. Ein riesiges Uhrwerk das unbeeindruckt von dem was unter ihm geschah rumorte und alte Rätsel löste, die den Menschen des Kontinent lange verloren waren.
Und dann begann der Stern das Innere der Kuppel zu erleuchten, brach sich an tausenden Kanten und Ecken, warf Schatten auf Schatten und durchdrang den Nebel des Kaisers wie ein heißes Messer, Butter. Die Soldaten des Herrschers taumelte zurück, bedeckte sich die Augen und begannen an ihrem Rüstungen zu zerren. Der Kaiser stand mitten unter ihnen und hatte nur Augen für seinen toten Erzfeind, den er einmal Freund genannt hatte. Und der rote Riese über ihr wurde immer noch größer. Vom Stern zum Feuer, das im Heiligtum loderte, Flammen aus Licht die am Dach züngelten.
Und dann wehte ein noch tieferes Rumpeln heran, über die Zitadelle hinweg, schwoll an zu einem Crescendo und tiefste Nacht folgte dem Schatten, der über sie hereinbrach. Ein Schatten so dunkel wie die Unendlichkeit selbst und das Grollen wuchs zu einem urtümlichen Gebrüll.
Die Grundmauern der Stadt erzitterten, die Zitadelle wankte wie Gräser im Wind und dann brach echtes Feuer herrein, erfüllte den düsteren Bau, fauchten in der Kuppel und brachen sich am Boden, schlugen über ihrem Kopf zusammen rot und heiß.
Zwei glühende Augen, groß wie Monde und wie wie glühende Kohlen funkelten sie Eola an. Doch das Feuer tat ihr nichts an und dem Kaiser der sich hinter ihr aufbaute nicht, doch seine Soldaten verbrannten in qualvollem Schrei, schmolzen in ihren schwarzen Rüstungen zu grauem Staub. Sie verwehten im Nebel des Kaisers, der nicht wich.
Der Nebel schien nicht an diesem Ort zu sein und doch da, wie ein in der Hitze flirrendes Trugbild, wie ein Geist vergangener Zeit. Doch der Kaiser war wirklich da, in schrecklichem Grau, dem eisig schimmernden Silber seiner Rüstung.
Eola sah zu ihm auf und er packte sie mit stählerner Hand am Kragen, hob sie hoch in die Luft zwischen sich und die dampfenden Nüstern des Drachen. Der warme Hauch, kitzel sie im Nacken, wie es sonst ihr Glück getan hatte. Vor ihr das Eis des Kaisers, hinter ihr das Feuer des Kanaahn. Denn sie war sich so sicher wie sie sich bei noch nichts in ihrem Leben gewesen war. Der rote Schatten der hinter ihr auf der Kuppel hockte, die gigantischen Krallen im Dach versenkt, die Schnauze ins Innere gesteckt- war er selbst viel zu groß um ins Innere der Zitadelle zu passen- das war Kanaahn, der rote Riese, der letzte aller Drachen.
Und das Heiligtum musste ein Leuchtfeuer sein, das ihn gerufen hatte, zur Rettung oder Zerstörung konnte Eola nicht sagen.
Kanaahn schnüffelte an ihr.
“Aaah, ein Wunderkind.”
Seine Stimme war der Donner selbst, tief wie das Meer und unergründlich wie ferne Gebirge. Die eiserne Maske des Kaisers zog mehr Nebel an, die goldenen Augen im fahlen Gesicht glitzern rot im Feuer des Drachen.
Dann richtete sich das Auge des Drachen dem Kaiser zu.
Er strauchelt und Eola sackte zu Boden, als sein Griff sie entließ.
“Du trägst eine Macht in dir, die die nicht gehört, Herr der Menschen”, grollte Kanaahn. Der Nebel verschwamm zu goldenen Schlieren.
Die goldenen Augen des Kaisers richteten sich auf Eola. Langsam hob er die Hand. Doch er tat ihr kein Leid an, bot sie ihr dar, wie ein Geschenk.
“Mein Nebel wird dir die Kontrolle geben, nach der du dich so sehr sehnst, Mädchen. Glaube mir, wenn ich dir sagen, die Zeit der Wunder ist vorbei.
Der letzte Drache wird heute sterben.”
“Kontrolle ist eine Illusion”, grollte Kanaahn und wirkte beinah belustigt.
Eola sah zu Oines leblosem Körper hinüber. Da war kein Blut zu ihren Füßen, doch das Schwert des Kaisers ragte immer noch aus dem Toten.
Sie schüttelte langsam den Kopf, dann wandte sie sich um, zu Kanaahn, dessen Nüstern so groß wie Scheunentore vor ihr aufragten.
“Kannst du ihn retten?”
Der Drache schnaubte und glühend heißer Wind schlug ihr entgegen.
“Ein Wunder? Ist das der Grund, warum du mich gerufen hast?”
Sie zuckte mit den Schultern, sie wusste es nicht. Sie hatte nicht die Kontrolle und auch wenn es sie in den Fingern juckte die Hand des Kaisers zu nehmen, ihre Gabe endlich nutzen zu können ohne sich auf ihre Unberechenbarkeit einlassen zu müssen, so wusste sie doch, das sie es nicht konnte.
Yahre hätte es nicht gewollt. Aber es war nicht nur das. Sie spürte das ihre Magie von diesem Wesen stammte, von Kanaahn selbst, sie wusste es einfach. Eola hatte nicht das Recht dazu sie zu kontrollieren. Der rote Riese hatte Recht, Kontrolle war eine Illusion.
“Ich will nicht, dass er stirbt. Ich will, dass niemand mehr sterben muss.”
Wieder ein Schnauben des roten Riesen, er verlagerte leicht sein Gewicht und ein Zittern ging durch die hohen Mauern. Ein Zittern in der Zeit selbst, ein Schwung der großen Flügen außerhalb der Kuppel erzeugte einen Sturm der ihr auf die Trommelfälle drückte.
"Das, ist selbst mir nicht möglich. Seine Herren fordern Tribut, die Rückkehr des Gesandten.”
Eola nickte.
“Nehmt ihn mit euch roter Riese. Ich will, dass ihr ihm Frieden gebt. Meinen will ich erst noch finden.”
Der Drache schien zu nicken, denn seine Nüstern näherten sich leicht dem Boden, dann jedoch spürte sie erneut den Wind, diesmal sogar der Drache Luft ein und der Kaiser begann zu Wimmern.
Nebel flog über den Boden, wogte in Wellen über den kalten Stein, waberte um ihre Knöchel und verschwand im Dunkel unter den roten Schuppen. Und als er ganz verschwunden war, blieb nur Leere, wo einst Oine lag.
Wie aus einer Eingebung heraus verbeugte Eola sich, dann sah sie auf den zitternden Mann hinab, der dort kauerte, wo einst der Kaiser saß. Ein Männchen, bloß noch grau, wo einst Silber war und seine Augen so leer wie sein Nebel.
“Seine Macht ist gebrochen, ohne ihn ist er nur noch Schall und Rauch”, donnerte der Drache, dann stieß er sich vom Kuppeldach ab, schwang die riesigen Flügel und Eola musste den Blick abwenden, die Hände schützend vor den Augen erhoben.
“Solange du an Wunder glaubst, wird meine Macht dir bleiben”, echote die Stimme des Roten durch ihren Geist.
Später würde man ihr erzählen das der rote Riese zum Meer hin entschwandt.
Doch wie er kehrte auch der Nebel des Kaisers nie mehr zurück.
- Ende -
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