Seiten

Seiten

Freitag, 10. Januar 2025

Das Glückskind Kapitel 1

"Drachen gibt es nicht mehr. Man sah sie über Kahl'Nazahd, dem alten Heiligtum. Damals erzählte man noch in Märchen. Man erblickte zwei im Kampf um den Pass bei Eiblingen, doch sie töteten sich gegenseitig und waren nie wieder gesehen. Woher ich das weiß? Aus einem Märchen. Drachen sind Legenden und als solche sind sie lange ausgestorben. Man sagt jedoch, wenn ein Drache gesichtet wird, werden alle Kinder, die unter einem ihrer Stern geboren wurden, zu Glückskindern. Der rote Riese, der hell am Ende des Firmaments steht, der sich nur alle drei Jahrzehnte zum Sternenzelt empor kämpfte, steht im Glauben der Hexenmeister für Fruchtbarkeit. Ihre Schriften sagen auch, bei ihm handele es sich um einen Drachen. Doch ihr Glaube spricht ebenso vom großen Geist, der die Welt verschlingen wird."

Aus: 

"Die Wunder des Vergessenen Zeitalters",

von Feist Ahn Leipard, 

Schriftführer der Bibliothek von Hattock.


Kapitel 1: Bis auf das letzte Hemd


Eola erreichte die Stadt bei Einbruch der Dämmerung. Die Grafschaft Logrim lag bei Madiskat, der alten Zitadelle am Reihwasser. Der See funkelte in der späten Abendsonne, deren letzte Strahlen sich im Wald dahinter verfangen hatten. Das Mädchen auf der einsamen Straße zog den Umhang enger um den kleinen Körper, als der Wind vom See her wehte und in den Gräsern am Wegesrand fauchte wie kleine Drachen. Auf dem Rücken trug das Mädchen einen kleinen Beutel mit Habseligkeiten und an der Hüfte einen Dolch, mehr zur Abschreckung, konnte sie doch kaum damit umgehen. Eola verließ sich lieber auf ihr Glück und ihren Verstand, der beinahe so scharf war wie das Metall an ihrem Gürtel. Man konnte Eola nicht als besonders hübsch bezeichnen und ihre Brust war so flach, dass sie vielen Ortes als Junge durchging, wenn man nicht zu genau hin sah. Dieser Eindruck wurde nur noch verstärkt von ihren kurzen Haar, das rot und wild vom Kopf abstand, wie die Stacheln eines Igels. Doch das wohl auffälligste an Eola war das feiste Grinsen, das sie stets trug, als verspotte sie jedermann und jede Frau, denen sie begegnete. Es war ein schiefes Grinsen, koboldhaft und vom stechenden Blick ihrer grünen Augen begleitet. Die Tore der Stadt würden sich bald schließen. Das Mädchen legte einen Schritt zu, widerstrebte ihr doch die Aussicht, eine weitere Nacht unter freiem Himmel zu schlafen. Die zwei Soldaten am Tor standen dort ebenso wie Eolas Dolch eher zur Abschreckung, waren sie beide doch so unerfahren, dass sie einen wirklichen Angriff nicht einmal drei Meter mit dem Wind riechen würden. Doch sie trugen scharfe Schwerter und polierte Rüstungen, die im letzten Licht des Tages leicht schimmerten.

"Halt! Wer da?", fragte der Jüngere der beiden, als Eola sich dem Tor näherte.

Sie hob eine Hand zum Gruß und trat in den Schein der Fackeln, die mit jeder Minute heller wurden, da sich die Nacht über die Stadt legte.

"Nur ein letzter Einkehrer. Spät doch rechtzeitig, bevor sich die Tore schließen."

Der Soldat musterte sie, der ältere der beiden, mit bereits ergrauten Bart und dem Wimpel des Kommandos am Schulterstück.

"Ein letzter Einkehrer, hmm?”, brummte der Alte und schüttelte schließlich den Kopf.

"Eher ein junges Bürschchen, aber wohl noch rechtzeitig."

Dann gab er den Weg frei und Eola nickte ihm zu, während sie unter dem hohen Torbogen hindurch ging.

"Gerade noch rechtzeitig, hörst du Brumi. Der Bursche hat Sinn für Humor", hörte sie den Jüngeren noch sagen, dann verschluckte die Mauern ihre Worte. Die Stadt bei Madiskat lag im Schatten der hohen Türme der zur Ehre stehenden Zitadelle, die seit knapp einem Jahrzehnt von der Familie Logrim bewohnt wurde. Seit sie in der Schlacht von Eibhein von den Nebligen genommen worden war. Die Häuser waren später darum errichtet worden, war die Zitadelle doch ehemals Heim der Priester, die nach den alten Lehren der Hexenmeister predigten. Der Kaiser des Nebelreiches konnte sie in seinem Reich nicht dulden. Die Zitadelle, als Wahrzeichen des alten Glaubens, musste genommen und gereinigt werden vom Bösen. Denn als solches sah man die alten Riten der Hex at Meiret, wie die Hexenmeister sich selbst einst nannten. Heute waren die Meister der alten Magie beinah komplett ausgerottet. Man hatte sie erst in die Berge hinauf getrieben und dann über Jahre hinweg verfolgt und ermordet. Heute lehrte man Magie nur noch der privilegierten Elite. Das alles wusste Eola und doch war ihre Faszination für derart Übernatürliches groß, so das sie staunend den dunklen Turm betrachtete, der sich mit einer Vielzahl an Türmchen und Zinnen vom Nachthimmel abzeichnete. Die Zitadelle war ein Meisterwerk der Architektur, mit massiven Wänden aus Granitsteinen, Spitzbögen aus Marmor und geschwungenen Giebeln, die auf profilierten Säulen aus Obsidian thronten. Kein moderner Architekt oder Handwerker hätte es je mit den Bauten der Hexenmeister aufnehmen können. Gegen die feinen Gemäuer der Zitadelle wirkten die Häuser darum herum wie Klötze aus unförmigem Lehm. Das größte davon war ein hell beleuchteter Bau mit einem Dach aus roten Schindeln und Fenstern aus dunklem Holz. Die Mauern selbst waren ein Gemisch aus Backstein und besagtem Lehm. Vor dem Wirtshaus stritten sich zwei Betrunkene um die Flasche und im Rinnstein lagen weitere Trunkenbolde dem Alkohol bereits so angetan, dass sie selig schlummerten, dem Dreck zum Trotz, in dem sie lagen. Eola beachtete sie kaum. Die Streitenden schwangen bereits die Fäuste und sie war nicht erpicht darauf, herauszufinden, wie der Konflikt ausging. Sie betrat das Etablissement durch die solide Holztür und schon wehte ihr der Gestank von Schweiß, Moschus, Rauch und weiteren Gerüchte entgegen, die man im allgemeinen mit Maskulinität verband und der in dichten Schwaden unter der niedrigen Decke hing. In der Taverne herrschte ein beeindruckender Geräuschpegel, der von unzähligen Stimmen, Gesang und Flüchen herstammte. Hier gab man sich ungezwungen und vergaß den Alltag, geprägt von Plackerei und regem Handel, von dem die Stadt am Reihwasser lebte. Nur wenige der Anwesenden waren Bauern im ursprünglichen Sinne und so mancher Edelmann in feinem Kleid war zugegen, darauf bedacht, sich in zivilisierteren Gesprächen an den Tischen der Händler bedeckt zu halten. Eola sah sich nach einem freien Tisch um, konnte jedoch keinen entdecken. Die rauchgeschwängerte Luft trieb ihr bereits Tränen in die Augen, und sie zog den klammen Schal vor den Mund. Die Kapuze tief im Gesicht, strebte sie zu der kleinen hölzernen Bar hin, an der noch ein Schemel frei zu sein schien. Sie schob sich auf dem hölzernen Hocker und sah sich unauffällig um. Rechts von ihr waren drei Männer in ein Gespräch vertieft und beachteten sie kaum. Die Frau links von ihr, den freizügigen Kleidern nach zu urteilen eine Prostituierte, bedachte Eola mit einem abfälligen Blick, dann wandte sie sich wieder dem Mann links von ihr zu, der zaghaft an seinem Bier nippte. Das Getränk schien ihm nicht geheuer, denn er stellte es wieder ab, ohne wirklich davon getrunken zu haben. Seine feinen Lippen kräuselten sich leicht, dann wandte er sich der Prostituierten zu und machte in höflichem, aber eindringlichem Ton klar, dass er ihrer Dienste nicht bedurfte. Damit trollte sich die Frau jedoch nicht, ohne ihn vorher mit einigen gemurmelten Flüchen zu bedenken. Der Mann trug einen feinen Mantel aus Flanell und darunter ein Wams mit eingenähten Seidenfäden, die wie ein Kranz aus Blumen um seinen Hals lagen. Das Gesicht des Mannes war blass, Eola vermutete in ihm einen der Edelmänner, die nicht viel ans Licht kamen. Doch sein Aussehen ließ sie stutzen, er besaß zwar den eingebildeten Blick eines Mannes, der es gewohnt war, Befehle zu erteilen, aber seine Haltung war straff und die Ausdrucksweise zu höflich, beinah als sei er ein Militär. Nur dass das Militär in dieser Gegend nicht vom Adel geleitet wurde, sondern von den Magiern der Akademie. Konnte es sich wirklich um einen von ihnen handeln? Eola fragte sich jedoch, warum sich ein Kommandant der Armee in solch einer Spelunke herum trieb? Der Mann schien ihren musternden Blick bemerkt zu haben, denn er sah mit einem schiefen Lächeln zu ihr hinüber, dann widmete er sich wieder dem Notizbuch, das offen vor ihm auf dem Tresen lag. Eola wandte ebenfalls den Blick ab und ließ ihn über die Menge streifen. Sie beobachtete im gewohnten Rhythmus das Geschehen. Die meisten Burschen waren in Gesprächen vertieft und schnell blieb ihr Blick an einem der Tische haften, an dem lebhaft einige Würfel über das Holz klapperten. Das Gelächter der Männer dort galt dem Burschen im dünnen Hemd, der den Großteil seiner Habe verspielt hatte und den man nun unverdrossen auch um das Letzte am Leib brachte, das er besaß. Eola musste schmunzeln, dann wandte sie sich erneut um und gab dem Mann hinter der Bar ein Zeichen. Das krumme Männlein spuckte in eins der Gläser, schrubbte es mit einem dreckigen Tuch und trat zu ihr, ohne von seiner Arbeit aufzusehen.

"Was kann ich bringen?", fragte er in einem Tonfall, der nahe legte, dass er nicht erwartete, heute viel aus Eola herauszuholen und sich lieber um besser zahlenden Gästen bemühen wollte. Seine Miene veränderte sich jedoch, als Eola ihre gut gefüllte Geldkatze hervorzog und ein glänzendes Stück Silber zu Tage förderte.

"Etwas zu Essen und Glas von eurem besten Bier, Herr Wirt."

Der Schenk grinste beflissen und zeigte seine braunen Zähne, dann beeilte er sich den Krug, an dem er schrubbte, beiseite zu stellen, um ihrer Bestellung nachzukommen. Eola wandte sich derweilen wieder um und beobachtete das Spiel der Bauern. Der Hämpel ohne Geld trollte sich gerade unter dem Gelächter der anderen und Eola verfolgte interessiert das Spiel, dem sie nachgingen. Sie verstand die Regeln nur im Ansatz, doch sie juckte es bereits in den Fingern.

"Mann nennt es Gaßperle", klang da plötzlich eine Stimme neben ihr. Der Edelmann oder Magier war näher gerückt und betrachtete sie von der Seite.

"Wie der Edelstein?"

"Man spielte es früher um Erz, richtig", erklärte der Mann

"Diese Gegend war Hauptabbauregion des Steines und viele der Minenarbeiter ergötzten sich daran, es ihren Herren nach Feierabend aus der Tasche zu spielen."

Eola warf einen erneuten Blick auf den Mann, in dem sie einen Magier vermutete, und musterte seine Reaktion, als sie fragte:

"Ihr ward doch nicht etwa einer dieser Herren?"

"Mit Nichten, ich bin nur auf der Durchreise. Wollt ihr die Regeln wissen?"

Eola nickte.

"Die Würfel haben sieben Seiten, jede steht für ein Erz, das ehemals in den Minen jenseits des Reihweihers abgebaut wurde. Bronit, Zyanor, Silber, Gold, Nachalit, Sakhur und Gaßperlit. Man wirft je drei Würfel und legt welche Gaßperlit zeigen beiseite, wenn denn einer dabei ist. Dann gibt man den Becher weiter. Man spielt je sieben Runden und wer am Ende das meiste Gasperlit zu liegen hat, gewinnt. Eigentlich ein simples Spiel. Klassisches Glück obsiegt hier meist, wenn man nicht schummelt, wie der Holzfäller dort rechts", und ihr Gegenüber zeigte auf einen stämmigen Burschen Ende dreißig, mit Vollbart und dreistem Grinsen auf den groben Zügen.

"Seine Würfel sind gezinkt, er zieht sie hervor, wenn niemand darauf achtet. Seht ihr, da!"

Und tatsächlich schüttelte der Holzfäller einen Würfel aus dem Ärmel, als die anderen dem armen Burschen ohne Hemd hinterher sahen. Der Holzfäller wiederum tauschte die Würfel so geschickt aus, dass es selbst Eola nicht aufgefallen wäre, hätte ihr Gesprächspartner sie nicht darauf hingewiesen. Eola wandte sich dem Mann zu und musterte ihn erneut. Er war weder besonders hübsch, noch hässlich, doch die Art, wie er sich bei diesem Satz über die lange Nase strich und feist lächelte, räumte für sie die letzten Zweifel beiseite. Sie wusste zwar nicht viel über Magie, doch dieser Mann wusste, wie man mit den Fingern Zeichen formte, ohne dass es irgendjemand mitbekam. Das war ganz und gar ungewöhnlich für einen Edelmann. Nein, dieser Mann hier war Magier, wenn er selbst schneller und besser hin sah als Eola, die sich im Laufe der Jahre einige Fingertricks beigebracht hatte.

"Nun denn, Herr Magier. Würdet ihr mir helfen diesen Strolch auszunehmen?", fragte sie und setzte ein ähnlich feistes Grinsen auf wie er. Der Magier lehnte sich zur Theke hin und ließ sich nichts anmerken.

"Magier hin oder her. Ich rate euch da nicht mitzumischen. Man verbrennt sich schnell die Finger, wenn man mit Betrügern spielt", ließ er dann verlauten und sein Grinsen verflog.

"Nun, wie ihr meint, Herr Magier"

Eola legte gespielt nachdenklich die Finger ans Kinn. Dann vermehrten sich die Falten um ihre Mundwinkel und ihr Grinsen wurde noch ein Stück breiter. Sie wusste, dass es den Mann ärgern würde, waren doch alle Magier darauf versessen, die Kontrolle zu behalten.

"Lasst uns wetten, Herr Magier."

Der Mann zog leicht die Stirn in Falten, dann zuckte er mit den Schultern und setzte eine Miene auf, die Eola wohl vermitteln sollte, dass ihn derlei Dinge nicht einschüchtern. Eola überlegte kurz. Bei dem Anblick der gut gefüllten Bar wurde ihr bewusst was sie zu tun hatte. Von hier bis zum Silbermeer hatte es kein einziges freies Zimmer gegeben.

"Wenn ich dem Burschen mit Zink im Ärmel das Hemd ausziehe, teilt ihr euer Quartier mit mir. Wenn nicht, schulde ich euch einen Nebelinger"

Vermutlich quoll die Geldkatze des Magiers über, doch Eola wusste, dass sie ihn bei der Ehre packen konnte, waren die Magier, die sie kannte, doch zu stolz einer ausgesprochenen Herausforderung zu widerstehen. Und wie sie es erwartet hatte, seufzte der Magier.

"Habt ihr denn so viel Geld?”

Ein Nebelinger war beinah zehn Gold wert.

“Gewiss doch.”

Dabei klopfte sie sich leicht auf die Jacke und die vier runden Taler der Prägung des Kaisers, die in einer geheimen Tasche schlummerten.

“Nun gut. Es ist nicht mein Hals, den ich riskiere und mein Quartier ist groß genug für zwei. Dann lasst mal sehen."

Damit lehnte er sich zurück und lud Eola mit einer Handbewegung dazu ein, dem Tisch der Spieler beizutreten. Eola selbst schmunzelte in sich hinein. Nun war ihr ein Platz zum Schlafen doch noch sicher. Denn Eola hatte nie ein Spiel verloren, darauf war Verlass. Sie stand auf und schlenderte zum Tisch hinüber. Sie legte einige Stücke Silber aus und wartete darauf, dass jemand anbiss. Der Holzfäller sah auf und grinste ihr zu.

“Der Einsatz ist drei Silber.”

Der Junge rechts von ihm sah ebenfalls auf und nahm einen Schluck Bier. Der alte Mann links vom Schummler nickte ihr kurz zu. Eola setzte sich zu ihnen.

“Ihr kennt die Regeln?”

Sie nickte und der Becher machte die erste Runde. Sie warf drei Gaßperlen und der Holzfäller verzog wütend das Gesicht.

“Das Glück des Anfängers”, gab der Alte mit flüchtigem Lächeln von sich.

“Werden wir wohl sehen.”

Die nächsten drei Runden gingen an sie, so wie sie es gewohnt war. In der dritten Runde fühlten sich die Würfel plötzlich anders an. Sie warf keine einzige Gassperle und der Holzfäller grinste in sich hinein. Eola lächelte ebenfalls. Sie wusste, dass sie nicht verlieren konnte. Es war schon öfter vorgekommen, dass es so aussah, als würde sie verlieren. Und es hatte mehr als eine Gelegenheit gegeben, in der sie es mit Falschspielern zu tun gehabt hatte. Zum Ende hatte sie stets profitiert. Also lehnte sie sich zurück und spielte weiter mit den gezinkten Würfeln des Holzfällers. Er musste die Würfel ausgetauscht haben. Auch die übrigen zwei Mitspieler warfen keine Gassperlen mehr. Der Holzfäller dafür mindestens eine pro Runde. Eola beobachtete seine Bewegungen genau. Bei jedem Wurf verharrte seine Hand ganz kurz über dem Becher, bevor er ihn anhob. Vermutlich versteckte er einem Magnet in der Handfläche, das hieß vermutlich das unter dem Zeichen der Gaßperle ein Metal verborgen lag. Die siebte Runde fing wieder bei ihr an und sie sah auf den Einsatz hinab. Er hatte sich dank des wiedergefundenen Selbstbewusstseins des Holzfällers verdoppelt. Ihre Würfel kullerten über die Tischplatte und blieben zitternd liegen. Vier Gaßperlen. Damit hatte sie den Holzfäller knapp überholt, der jede Runde bisher nur eine Perle geworfen hatte. Vermutlich gab es nur einen Würfel, der überhaupt auf einer Perle landen konnte. Der Holzfäller starrte auf die Würfel und war blass geworden.

“Das kann nicht sein!’

“Wieso denn nicht?”, warf sie schelmisch grinsend ein.

“Ihr!”

“Was ist mit mir?”

“Ihr betrügt! Vier Glaßperlen, bei vier Würfeln. So viel Glück könnt ihr gar nicht haben.”

Eola zuckte nur mit den Schultern und lehnte sich zurück.

“Oh doch mein Lieber. Das kann sein. Aber macht euch nichts draus. Es haben schon bessere Spieler gegen mich verloren und wie sagt man doch so schön? Pech im Spiel, Glück in der Liebe? Vielleicht findet ihr ja heute eure Seelengefährtin.”

Dabei sah sie sich in der Schenke um.

“Vielleicht Berta dort drüben?”

Dabei deutete sie auf eine große Frau Ende vierzig, die mit strengem Pferdeschwanz, grantig aus der Wäsche schaute.

“Treibt es nicht zu weit, Bürschchen!”

Der Holzfäller war aufgestanden und griff über die Platte nach den Würfeln.

“Die sind doch gezinkt. Wann habt ihr sie ausgetauscht, hmm?”

Eola überlegt kurz. Ein Krazen im Nacken später beschloss sie, den Holzfäller ihrerseits lieber nicht als Schummler zu entlarven. Es würde ihr nicht gutes bringen, ihn nur noch wütender machen. Und wem würden die übrigen Spieler eher glauben? Ihr Glück würde ihr dabei nicht helfen. Also versuchte sie es mit Diplomatie.

“Das war doch bloß Glück. Ich bin sicher, ihr schafft es noch mich zu überhole.”

Damit bot sie ihm den Becher an, doch der Holzfäller starrte sie weiterhin hasserfüllt an.

“Wie wäre es, wenn wir den Magier dort an der Theke hinzuziehen? Er wird uns sicher sagen können, ob die Würfel gezinkt sind.”

Der Holzfäller schnaubte noch einmal, dann setzte er sich wieder.

“Schon gut, aber ich behalte euch im Auge, Junge!"

Natürlich war er verwirrt, sie hätte mit seinen Würfeln vermutlich nie eine Perle werfen dürfen. Für ihn war die einzige logische Erklärung, dass sie ebenfalls schummelte. Doch es bestand immer noch Gefahr, dass er selbst erwischt wurde. Eola hatte ihn mit ihrem Angebot verunsichert. Er hatte Angst. Gut so! Und warf keine einzige Perle, worauf er laut fluchte. Dabei hatte sie ihn genau dabei beobachtet, wie er die Würfel ausgetauscht hatte. Eola musste lächeln. Ihrem Glück waren seinen Würfel einfach nicht gewachsen. Doch noch trug der Holzfäller sein Hemd und wie sie Magier kannte, nahm er den Einsatz, den sie ausgesprochen hatte, wörtlich. Sie würde sich darauf verlassen müssen, dass ihr Glück sich auch darum kümmerte. Sie musste es nur leicht in die richtige Richtung lenken, dem Schicksal einen kleinen Schubs geben. Während einer Pause im Spiel, wandte sie sich zur Theke um.

“Wo bleibt mein Essen?”

Der krumme Wirt eilte beflissen in die Küche  und während bereits wieder die Würfel über das Brett rollten, trug er eine dampfende Schüssel Eintopf heran. Der Becher war gerade wieder beim Alten angekommen, da sprang er auf, vor ihm lagen vier Gaßperlen. Doch ihr Glück hatte nicht etwa versagt. Er stieß bei seinem kleinen Freudentänzchen gegen den Wirt und der Inhalt der Schale ergoss sich über das Hemd des Holzfällers. Erschrocken sprang dieser ebenfalls auf, fluchte und riss sich das Hemd vom Körper. Eola lehnte sich lächelnd zurück und besah sich das Schauspiel mit der zufriedenen Gewissheit, die sie stets durchströmte, wenn ein sich alles ineinander fügte, was bei ihrem Glück stets der Fall war. Beim wilden Tanz des Falschspielers begannen einige zu lachen und jetzt kullerten die falschen Würfel aus dem Ärmel des Hemdes. Kurz wurde es ohrenbetäubend still im Schrankraum, dann brach die Hölle los.

"Falsches Spiel!”, rief jemand und,

“Eine Frechheit!”, ein anderer.

Dann jagte man den entblößten Toll aus dem Etablissement.

Eola jedoch kehrte an die Bar zurück, nahm ein Schluck von ihrem Bier und zählte ihren Gewinn. Sie hatte plus gemacht, nicht viel, aber genug, um sich noch ein extra Getränk leisten zu können. Eine kleine Belohnung für ihre harte Arbeit. Sie musste schmunzeln.

Als ob sie je für etwas hart gearbeitet hätte.

“Ihr habt geschummelt”, richtete der Magier das Wort an sie.

“Keinesfalls. Hätte ich die Schale selbst umgestoßen, würde ich euch zustimmen, aber das Hemd ist nicht mehr am Mann und mein Eintopf war dafür verantwortlich. Außerdem habe ich mehr gewonnen als alle anderen am Tisch. Ich würde sagen, das zählt.”

Der Magier murrte, nickte jedoch.

“Aber das meinte ich nicht. Ich weiß nicht, wie ihr es angestellt habt, aber es war ganz sicher Magie im Spiel. Damit täuscht ihr mich nicht, Kind.”

Sie zog unschuldig eine Augenbrauen hinauf.

“Ach, wirklich? Wie könnt ihr das so genau sagen?”

Es interessierte sie wirklich. Eola hatte sich immer auf ihr Glück verlassen können, aber woher es kam, war selbst ihr ein Rätsel. Sie kannte die Geschichten, geboren unter dem roten Stern, aber dass ihr Glück tatsächlich etwas Magisches war, hatte sie nie in Betracht gezogen.

“Es entzieht sich auch meinem Verständnis, aber wir Magier sind in der Lage, Magie zu spüren, es ist wie ein leichtes Kribbeln in den Fingerspitzen. Vielleicht weil wir die Finger benutzen, um unsere Magie zu lenken. Und es ist auch nur denen bewusst, die bereits einiges Magisches gewirkt haben.”

Eola wiegte nachdenklich den Kopf.

“Also haben eure Fingerspitzen gekribbelt, als ich gespielt habe?”

“Seit ihr euch an diesen Tisch gesetzt habt und bereits davor, zuerst habe ich es für eine Einbildung gehalten. Ich hatte nicht erwartet, hier auf einen Magier zu treffen.”

“Also könnt ihr es nicht beweisen?”

“Das ihr Magie eingesetzt hast? 

Leider nicht.”

“Schade.”

Der Magier runzelte die Stirn. Dann stand er auf und schob den Rest seines Biers von sich.

“Wie dem auch sei. Ihr habt mich beeindruckt, Kleiner, also will ich euch den kleinen Sieg gönnen. Aber versucht mich nicht noch einmal an der Nase herumzuführen. Und jetzt kommt, ich will ins Bett.”

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen